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Platzecks Einheit: Geteilte Ansichten

Brandenburgs Regierungschef Platzeck kritisiert die deutsche Einheit als Anschluss der DDR – und löst eine Kontroverse damit aus.

Potsdam - Seit seinem Rücktritt als SPD-Vorsitzender mischt sich Brandenburgs Regierungschef Matthias Platzeck nur selten in die Bundespolitik ein: Seine jüngste Kritik am deutschen Einigungsprozess und die angebliche „Anschlusshaltung“ der Westdeutschen, von der Platzeck in einem „Spiegel“-Interview sprach, hat kontroverse Reaktionen zur Folge. Der frühere Potsdamer Innenminister und einstige CDU- Bundespräside Jörg Schönbohm, der als Bundeswehrgeneral die DDR-Volksarmee auflöste und lange am rot-schwarzen Kabinettstisch saß, äußerte sich am Montag enttäuscht über Platzeck. Dessen Aussagen seien „rückwärtsgewandt und rechthaberisch“, sagte Schönbohm. Er kritisierte die „einseitigen Schuldzuweisungen“ an die Adresse der Westdeutschen. „Ich verstehe nicht, warum er nach 20 Jahren diese Diskussion anfängt.“ Sie sei kein Beitrag für das Zusammenwachsen von Ost und West. „Er sagt nicht, wie wir gemeinsam vorankommen können.“ Schon die Diktion habe ihn verwundert. „Vielleicht liegt das am Einfluss des linken Koalitionspartners.“ Im „Spiegel“ hatte Platzeck den Einigungsvertrag als Beginn einer „gnadenlosen Deindustrialisierung Ostdeutschlands“ kritisiert und die „westdeutsche Anschlusshaltung“ für „viele gesellschaftliche Verwerfungen“ in den neuen Ländern seit 1990 verantwortlich gemacht.

Die Opposition im Landtag reagierte mit Unverständnis. Es sei unstrittig, dass während des Einigungsprozesses Fehler gemacht worden seien, sagte etwa Andreas Büttner, der designierte FDP-Fraktionschef. „Zu einem Zeitpunkt aber, wo die Spaltung nicht überwunden ist, reißt Platzeck neue Gräben auf.“ CDU-Fraktionschefin Saskia Ludwig empfahl Platzeck als Lektüre das Buch des SPD-Politikers Richard Schröder „Die zehn größten Irrtümer zur deutschen Einheit“, denen nun offenbar auch Platzeck aufgesessen sei: „Es ist Aufgabe eines Regierungschefs, die Zukunft zu gestalten und alle mitzunehmen, nicht aber auszugrenzen“, sagte Ludwig. Und die Grünen-Landeschefin Annalena Baerbock nannte die Aussagen „fahrlässig.“ Strukturelle Probleme des Ostens löse man nicht dadurch, „20 Jahre danach auf Stammtischniveau die Emotionen zwischen Ost und West zu schüren“. So treibe Platzeck den Keil zwischen Ost und West „noch tiefer“.

Dagegen begrüßte der langjährige Brandenburger Ministerpräsident Manfred Stolpe, der das Land von 1990 bis 2002 regiert hatte, den klaren Befund. „Platzeck spricht aus, was viele denken“, sagte der Brandenburger SPD-Ehrenvorsitzende. Einheit und Freiheit seien „ein Glücksfall“. Aber schon der Vergleich mit dem Beitrittsvertrag Saarland 1957 zeige, „dass 1990 im Beitritt der DDR die Sorge um Arbeitsplätze und Wirtschaftsstandorte grob vernachlässigt wurde“. Stattdessen sei eine Stilllegung von Betrieben und Arbeitsplätzen erfolgt, die die Kosten der Wiedervereinigung explodieren ließ. „Wer zum Einigungsvertrag nur jubelt, vertieft die Spaltung der Erinnerungskultur der Deutschen.“ Nötig sei aber eine „ehrliche Debatte.“ Ähnlich äußerte sich Linken-Fraktionschefin Kerstin Kaiser. „Platzeck spricht damit der Mehrheit der Brandenburger aus der Seele.“

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