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Berlin: Das große Fressen

Sushi, Fleisch und Pizza satt: Beim „All you can eat“ bekommen die Gäste für wenig Geld viel auf den Teller

Es liest sich wie ein Bericht aus dem sagenhaften Schlaraffenland. „Burgen und Höhlen aus Crushed Ice kühlen die Garnelen und Hummer. Geformtes Aspik schmiegt sich zu Paisley-Arabesken. Da sind, mit ehrerbietiger Kunstfertigkeit ausgelegt: Vorspeisen, Appetithappen, Salate und Saucen; Krabben, Heringsaustern, Stör, Tintenfisch und Lachs; Truthahn, Schinken, Roastbeef, Schmortöpfe, Fondues und Currys; Käse, Obst und Nachtisch. Wie oft du die Reihe abgehst, ist eine Privatsache zwischen dir und deinem Fassungsvermögen.“ Dies sei das achte Weltwunder, schrieb William Pearson in seinem Las-Vegas-Roman „The Muses of Ruin“ über die 1,50-Dollar-Mitternachtsbüfetts der Casino-Hotels.

Das war 1965. Heute gehört „All you can eat“ (einmal zahlen und so viel essen, wie man will) in den USA zum Kulturgut: Vor allem Gerichte, die à la carte teuer sind, werden gerne zum Pauschalpreis gegessen. So kommt man einmal in den edlen Genuss und kann sich gleichzeitig so richtig den Bauch voll schlagen. Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt, jedenfalls wenn der Magen nicht zu früh streikt. Und vor allem: Man geht kein Risiko ein. Wenn ein Gericht nicht schmeckt, lässt man den Teller stehen und probiert ein anderes. Dem Klischee zufolge müsste das Vollkaskoessen gut zu den Deutschen passen. Und tatsächlich wird „All you can eat“ hierzulande immer beliebter. In Berlin bieten inzwischen Dutzende Restaurants mit internationaler Küche das Schlemmen zum Pauschalpreis an. Seit August vergangenen Jahres gibt es auch eine brasilianische Variante: Rodizio heißt das kulinarische Erbe der Gauchos, der südbrasilianischen Viehhirten. In der Villa Rodizio in der Milastraße in Prenzlauer Berg muss man während des Essens nicht einmal aufstehen: Regelmäßig kommen die Cortadores, die Kellner, mit neuen Spießen verschiedener Fleischsorten vom Grill und schneiden die gewünschten Stücke direkt am Tisch ab. Nur wer sich wehrt, bekommt keinen Nachschlag. Dieses volkstümliche Mahl dürfte seinen Anteil daran haben, dass neuerdings immer mehr Brasilianer an Übergewicht leiden.

Dick wird man in den Kaiten- Sushi-Bars nicht. Aber selbst die kalorienarmen Häppchen aus Reis, Fisch und Algen können mehr als satt machen, wenn man beliebig viele davon essen darf. Der Name Kaiten leitet sich ebenso wie Rodizio von „drehen“ ab. Wobei sich hier nicht der Spieß dreht, sondern ein kleines Fließband am Tresen. Die Speisen kommen automatisch in Greifweite der Gäste gefahren, der Nachschub hört scheinbar nie auf. Man nimmt sich einfach, was lecker aussieht.

In Japan gelten Kaiten-Sushi-Bars als nicht besonders schick. Dabei kann der Besuch in so einer Bar durchaus erhebend sein: Wer spätabends endlich den Blick vom Sushi-Fließband abwendet, die hoch aufgetürmte Sammlung von Plastikschachteln auf dem Tisch zurücklässt und sich mühsam vom Hocker schiebt, hat eine Ahnung vom Schlaraffenland bekommen.

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