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An der Schwelle. Am 18. Dezember wäre Willy Brandt 100 Jahre alt geworden. Lorris Andre Blazejewski (Mitte) spielt ihn als jungen Mann. Fotos: promo

© TS

Theaterstück zum 100. Geburtstag: Eine unbekannte Seite von Willy Brandt

Lorris Andre Blazejewski spielt den jungen Willy Brandt im Theaterstück „Willy 100“. Dafür musste er ungewöhnliche Wege gehen – und sieht Berlin nun ganz anders.

„Gaasland, Gunnar Gaasland.“ Lorris Blazejewski spricht den Namen immer und immer wieder. „Gosland.“ Er formt die Vokale, lutscht sie rund: „Gooslooond.“ Mit jeder Wiederholung verleibt sich der Schauspieler ein bisschen mehr „Gaasland“ ein. Und damit auch ein bisschen mehr Willy Brandt.

Hintergrund des Decknamens

Gunnar Gaasland war nämlich der Deckname des späteren Bundeskanzlers im Nazi-Deutschland der 1930er Jahre. Nach der Machtergreifung Hitlers war Willy Brandt zunächst im norwegischen Exil untergetaucht, doch 1936 kam er als Widerstandskämpfer kurz zurück nach Berlin. Um nicht aufzufallen, mimte er einen Norweger, der mit Akzent Deutsch sprach – und in diese bisher unbekannte Rolle schlüpft nun der Schauspieler Lorris Andre Blazejewski. Er ist der Hauptdarsteller im Theaterstück „Willy 100 – Im Zweifel für die Freiheit“ – eine Hommage an die politische Ikone, die am 18. Dezember 100 Jahre alt geworden wäre.

Die Rolle Willy Brandt

Bei den Proben geht Blazejewksi ganz in seinem Brandt auf. Zerbrechlich wirkt er, zweifelnd, ein bisschen hilflos. Die Augen des Schauspielers tasten sich suchend durch den Raum, ganz so, als sei hier einer, der Halt braucht in einer Welt, die er zwar kennt – aber die nicht mehr seine ist. Blazejewski scheint dann ganz im Jahr 1936 zu sein. Gibt Regisseur Wurster hingegen neue Kommandos vor oder werden die Proben für Pausen unterbrochen, dann wird Blazejewski ein anderer: Er grinst wie ein kleiner Junge, haut seinen Kollegen auf die Schultern, tänzelt übers Parkett. Die Brandtschen Stirnesfalten sind jetzt die Lachfalten eines Lausbuben.

„Sich in Brandt hineinzuversetzen ist sehr intim“, beschreibt es der Darsteller. Der Politiker sei „gleichsam fern und immer noch nah“. Blazejewksi, 27 Jahre alt, kannte Willy Brandt vor den Proben nur aus Geschichtsbüchern. Aber wenn er jetzt durch Berlin laufe, dann scheine es ihm, als sei Willy Brandt überall. Sei es am Rathaus Schöneberg oder bei den Überresten der Mauer. „Ich habe dann vor Augen, wie er in einer Dokumentation den Bau der Mauer beobachtete. So fassungslos und ohnmächtig“, erzählt Blazejewski. Seitdem begreife er auch die Geschichte der Stadt ganz anders, in der Willy Brandt von 1957 bis 1966 Regierender Bürgermeister war.

Die Geschichte eines Helden

Die historische Nähe sei bei den Proben allerdings Segen und Fluch zugleich: Da gibt es auf der einen Seite Zeitdokumente, die bezeugen, wie Brandt seine Stirn in Falten legte oder wie er – und wie oft – eine Zigarette in der Hand hielt. Doch zugleich hat das Publikum bereits eine Vorstellung von seinem eigenen Brandt. „Er steht für etwas“, sagt Blazejewksi, „es ist schwierig, ihn mit eigenen Emotionen aufzuladen.“ Deswegen rauchte er zum Beispiel eine ganze Schachtel Zigaretten, um die Gestik und Mimik des jungen Sozialdemokraten genau einzustudieren. Obwohl er Nichtraucher ist.

Für all diese Details hatte Blazejewksi, der ansonsten am Gorki-Theater hospitiert, nur sechs Wochen Zeit. Mit ihm erschaffen fünf weitere Darsteller das Berlin der 1930er, das vom Regisseur Jakob Wurster als Theaterabend inszeniert wird: mit Swingmusik und raschen Szenenwechseln, bis zu beklemmenden Momenten in deutschen Amtsstuben. Das Stück soll laut Wurster zeigen, wie in einer düsteren und bedrohlichen Zeit „ein Held geboren wird“.

Meinungen von Politikern

Willy Brandt als Held – Hans-Christian Ströbele (Grüne) ist da geteilter Meinung. Er habe den ehemaligen Bundeskanzler wegen seiner Haltung zum Vietnamkrieg und dem Radikalenerlass immer kritisch gesehen, sagte Ströbele bei einem Pressegespräch am Donnerstag. Doch seit er den früheren Teil seiner Biografie kenne, sehe er den SPD-Politiker, der wegen seiner Emigration oft als Vaterlandsverräter gesehen wurde, in einem anderen Licht. Auch Wolfgang Thierse (SPD) zeigte Respekt vor dem Mut des jungen Politikers. „Er hat dieses mörderische Regime früh erkannt und sich dagegen eingesetzt“, sagte er – und genau das sei die Idee von Politik: Bemerken, dass etwas nicht in Ordnung ist, und sich mit Leidenschaft für einen besseren Zustand engagieren.

Etwas bewirken – das will auch Lorris Andre Blazejewski mit seinem Schauspiel. „Mein Antrieb ist es, dass ich in den Köpfen der Zuschauer etwas verändere“, sagt er am Donnerstag und hört dem SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel beim Pressegespräch aufmerksam zu. Vor allem jetzt, wo er einen jungen Mann verkörpert, der später einmal Friedensnobelpreisträger werden wird – und neben dessen Statue sich Sigmar Gabriel winzig wie ein Zwerg vorkommt.

„Willy 100“, 12. 12. bis 15.1. um 19.30 Uhr (sonntags um 17 Uhr), Neues Stadthaus, Parochialstr. 1–3. Karten ab 26 Euro (erm. 18 Euro). Infos: www.willy100.de

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