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Die Grünen-Verhandlungsführer (von links nach rechts): Der Vorsitzende des Landesverbandes Berlin der Grünen Daniel Wesener, die Fraktionsvorsitzende der Berliner Grünen Ramona Pop, die Vorsitzende des Landesverbandes Berlin Bettina Jarasch, und der Fraktionsvorsitzende der Berliner Grünen Volker Ratzmann.

© dpa

Koalitionsverhandlungen: Berliner SPD und Grüne raufen sich zusammen

Es galt als nahezu sicher, dass es doch keine rot-grünen Koalitionsverhandlungen geben würde. Zu unvereinbar die Positionen. Dann wurde eine Lösung verkündet, die aber vorerst geheim ist.

Von
  • Ulrich Zawatka-Gerlach
  • Sabine Beikler

Das hatte Klaus Wowereit zwei Wochen vor der Wahl gesagt, in kleinem Kreis, in der Zentrale des Berliner SPD-Landesverbands im Wedding: „Wenn die Grünen glauben, das Thema abräumen zu können – das wird nicht geschehen.“ Gemeint war der Ausbau der Stadtautobahn A 100.

Und dieses Projekt ist im Umfeld der Berliner Parlamentswahlen von einer Baumaßnahme zu einem Synonym geworden für Machtwillen und absurde Wege politischer Willensbildung. Die Grünen wollen die Autobahn nicht. Die SPD will sie. Man werde einen Kompromiss finden. Bis Dienstag gegen 14 Uhr galt es als nahezu sicher, dass es den nicht geben würde. Wie auch?

Mehr als 13 Stunden hatten beide Parteien seit den Wahlen vom 18. September sondiert, wie eine Einigung aussehen könnte, ohne dass Klarheit entstand. Und nun – Überraschung! – gibt es sie doch.

Dienstag 14 Uhr traten der SPD-Landeschef Michael Müller und seine Grünen-Kollegin Bettina Jarasch im Roten Rathaus für einige Sekunden vor die Kamera, schmallippig und ohne Fragen zuzulassen. Ein Kompromiss sei vorgelegt worden. Wie der aussehe, bleibe geheim. Mehr sagten sie nicht.

Mehr als ein „damit können wir leben“ war auch von anderen Funktionären nicht zu hören. Was Zeugnis dafür ist, wie sehr sich die Stimmung verschlechtert hat, seit vor zehn Tagen die beiden Kommissionen, mit Wowereit und dem grünen Chef-Unterhändler Volker Ratzmann an der Spitze, im Säulensaal des Roten Rathauses vor die Presse traten. Da war die Stimmung noch heiter und gelöst. Kumpelhaft robbte Ratzmann sich an Wowereit heran, da standen sie Schulter an Schulter, und der eine, Ratzmann, sagte: „Es wurden Grundlagen geschaffen.“ Und der andere, Wowereit, sagte: „Es gibt Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit. Wir müssen sehen, ob sie tragfähig sind.“

Doch im abgeschotteten Bürotrakt des Regierenden Bürgermeisters war vor diesen frohen Verkündigungen nichts schriftlich festgehalten worden. Mit Ausnahme von vier Sätzen, die der Vize-Landeschef der SPD, Mark Rackles, auf einen Zettel schrieb: „Das Projekt 16. Bauabschnitt der BAB 100 wird nicht grundsätzlich aufgegeben. Die Koalition setzt sich aber aktiv und ernsthaft dafür ein, dass die Umwidmung der Bundesmittel ermöglicht wird. Der Bau erfolgt nicht, wenn die investiven Bundesmittel in Infrastrukturmaßnahmen in Berlin umgewidmet werden können. Für den Bundesverkehrswegeplan 2015 wird ein zusätzliches Projekt angemeldet.“

Er hätte auch mehr herausholen können, sagte Wowereit später hinter vorgehaltener Hand. Und lobte die Grünen, die auch den zügigen Ausbau des Großflughafens, eine neue Schnellstraße im Nordosten Berlins und den Neubau der Landesbibliothek geschluckt hätten. Davon aber wollte Ratzmann später nichts mehr wissen. Inzwischen wird von sozialdemokratischer Seite aus den vertraulichen Treffen kolportiert: Je allgemeiner die Bekenntnisse zu einer Regierungsarbeit, desto einiger waren sich beide Seiten. Je mehr versucht worden sei, ins Detail zu gehen, bis hin zu einzelnen Posten im Landeshaushalt, desto zurückhaltender seien die Grünen geworden. Festnageln ließen sie sich nicht.

Das war auch ein Grund, warum es sich der SPD-Landesvorstand Anfang vergangener Woche nicht leicht gemacht hat mit seinem Beschluss für die Aufnahme rot-grüner Koalitionsverhandlungen. Denn viele Genossen träumen nicht nur vom öko-sozialen Projekt, sondern machen sich durchaus Sorgen um die eine Stimme Mehrheit, mit der Wowereit voraussichtlich im November vom Landesparlament gewählt werden muss. Und in den Köpfen der SPD-Kreischefs und Stellvertreter und Beisitzer ist derweil auch gut verankert, was Wowereit und sein engster Vertrauter, der SPD-Landeschef Michael Müller, nicht erst seit diesen Wahlen immer und immer wieder wiederholen: Ein gemeinsames Regierungsbündnis braucht nicht nur gemeinsame Inhalte, sondern an erster Stelle Vertrauen und Verlässlichkeit. So kam es, dass in der Vorstandssitzung auch mehrere SPD-Linke darauf bestanden, dass die Absage an Koalitionsverhandlungen mit der CDU gut begründet werden müsse. Rot-Schwarz sei durchaus eine Option.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich Wowereit und Ratzmann verstehen.

Öffentlich war davon nichts zu hören. Auch nicht von Wowereit, der das letzte Wort hat, wenn es um die Entscheidung geht: Rot-Grün oder Rot-Schwarz. Und daran wird auch in dieser inzwischen verfahrenen Situation nicht gerüttelt: Nicht einmal die verwegensten Linken kämen auf die Idee, die Kult- und Führungsfigur der Berliner Sozialdemokraten durch innerparteiliche Schachzüge auszuhebeln und in ein Abenteuer zu zwingen, das er sich selbst nicht zumuten will. Dann wäre er weg, das wissen alle. Das ließe er nicht mit sich machen. „Was sollen wir machen“, sagt ein einflussreicher Genosse vom linken Flügel der Partei. „Neuwahlen in Berlin, das kann keiner wollen, außer den Piraten.“ Dann kämen die Sozialdemokraten ohne ihren Wowi wahrscheinlich auf 20 Prozent.

Trotzdem – die Linke ist stark in der Berliner SPD. Sie stellt zwei Drittel der Parteitagsdelegierten und ihr Herz schlägt heftig für Rot-Grün. Um den Landesvorstand und die Mehrheit der Kreischefs für eine Zusammenarbeit mit den Christdemokraten zu bewegen, hätte es eines großen Kraftakts bedurft. Das wäre eine sehr, sehr bittere Pille gewesen, heißt es im linken Parteilager. Die zehn Jahre von 1991 bis 2001 in der großen Koalition, dazu noch als Juniorpartner, wirken nach. Dagegen warnte der Neuköllner SPD-Kreischef Fritz Felgentreu, ein hoch geschätzter SPD-Rechter, vor faulen Kompromissen. Auch zur A 100. „Damit macht sich Wowereit erpressbar, dann sollte er es lieber lassen.“ Aber Felgentreu gehört zur Minderheit.

Stattdessen sitzt die rot-grün gestimmte Parteibasis den SPD-Bezirkschefs im Nacken, und die Müller und Wowereit. Die Linke will auch den nächsten Fraktionschef stellen, sollte Müller in den Senat wechseln. Der Spandauer Kreischef Rahed Saleh stünde bereit. Viele wollen jetzt etwas werden. Die Berliner Sozialdemokraten sind ein aufgescheuchter Haufen, aber sie wollen und werden regieren. Möglichst mit den Grünen. Dazu sollten jetzt alle „aus dem Sandkasten steigen und sich den Herausforderungen der nächsten fünf Jahre stellen“, sagte der SPD-Vizechef und Sprecher der Parteilinken, Mark Rackles.

Regieren mit der SPD – das will auch die Öko-Partei. Das Wahlergebnis mit 17,6 Prozent war zwar besser als vor fünf Jahren, aber doch nur Platz drei hinter der SPD und der CDU. Und die Spitzenkandidatin Renate Künast blieb weit davon entfernt, Wowereit aus dem Roten Rathaus zu verjagen. Um nun nicht völlig angeschlagen ihren Platz als Fraktionschefin im Bundestag neben dem Parteilinken Jürgen Trittin wieder einzunehmen, musste Künast eine rot-grüne Lösung in Berlin moderieren.

„Ohne Rot-Grün ist sie keine Siegerin. Das lässt sich einfach nicht leugnen“, sagt ein grüner Spitzenpolitiker auf Bundesebene. Trittin habe die Wahlkampfzeit von Künast genutzt, „um sich stärker zu profilieren. Ihre Position hat gelitten“, heißt es in der Fraktion. Bei den anstehenden Vorstandswahlen in ein paar Wochen macht ihr bisher niemand ihre Position streitig, aber es ist völlig offen, ob Künast als Spitzenkandidatin in den Bundestagswahlkampf zieht. Ein Resümee aus dem Berliner Wahlkampf aber ziehen die Grünen schon jetzt. Es werde „nie wieder“ einen Wahlkampf mit „nur einer Frau“ an der Spitze geben, heißt es. Und das Führungspersonal müsse sich „deutlich“ verjüngen. Künast nahm an der Krisensitzung mit der SPD am Montag im Roten Rathaus nicht mehr teil.

Es saßen sich erneut Wowereit und Ratzmann gegenüber, zwei Männer, Alphatypen, die sich seit Jahren argwöhnisch beäugen. Warm geworden sind sie nie miteinander. Schon drei Wochen vor der Wahl war diese Mischung aus Revierkampf und gegenseitigem Misstrauen unüberhörbar. Auf der letzten Plenarsitzung Anfang September manifestierte Ratzmann den Verzicht auf den Bau der A 100. „Und das meinen wir bitterernst“, sagte Ratzmann. „Das, Herr Wowereit, kriegen Sie nur mit der CDU.“ Der Regierende schoss in seiner Rede scharf zurück. Er bezog sich auf ein Grundsatzpapier der Grünen, das zehn Punkte mit Schwerpunkten beinhaltet. Und sagte dann, dass Ratzmann „nur noch einen zum harten Kern gemacht“ habe, nämlich die A 100. „Wenn das nicht erfüllt wird und wenn der Wowereit da nicht einknickt, dann – ja, was ist denn dann, Herr Ratzmann? Dann bleibt Ihr Anzug wieder im Schrank hängen wie beim letzten Mal, oder was?“ Wowereit war richtig in Fahrt und schob hinterher: „Sie sitzen doch auf einem hohen Ross, das Ihnen längst weggeschossen ist. Herr Ratzmann, dass Sie noch meinen, Bedingungen für Koalitionsverhandlungen stellen zu können! Wo leben wir denn eigentlich?“

Ratzmann erwartet Augenhöhe in Verhandlungen. „Koch und Kellner ist von gestern“, sagte der 51-jährige Jurist noch vor ein paar Tagen. Und hat sich doch selbst in diese Sackgasse manövriert, aus der er nicht so einfach wieder rauskommt. Das kategorische Nein zur Verlängerung der A 100 als Bedingung für die Unterzeichnung eines Koalitionsvertrags war unnötig. Noch nicht einmal die Parteilinken hatten diese Festlegung gefordert.

Das Greifen nach einer reellen Chance für Rot-Grün überwiegt bei den Berliner Grünen. „Wir wollen diese Koalition nicht nur 100-prozentig, sondern 150-prozentig“, heißt es bei der Parteilinken. Wie man aus dem Dilemma wieder herauskommt und das „Aufmuskeln“ von SPD und Grünen wieder abschwächt, weiß aber an der Basis keiner so recht zu sagen.

Wenn in Berlin eine rot-grüne Koalition an einem 3,2 Kilometer langen Autobahnstummel scheitern sollte, dann „lacht die ganze Bundesrepublik über Berlin“, prophezeite ein grüner Politiker am Montag. Während die Grünen-Fraktion am Nachmittag hinter geschlossenen Türen im Abgeordnetenhaus tagte, schrieben andere an Papieren für die Koalitionsgespräche. Am Abend war noch ein Treffen mit dem Landesvorstand und der Verhandlungskommission geplant. Bis zu Beginn der Koalitionsgespräche am Mittwoch ist Stillschweigen vereinbart. „Es ist nicht einfacher geworden“, hieß es. Optimismus klingt anders.

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