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Mauerspecht.

© dapd

Berlin: Mauerfall in Mitte

Morgens, kurz nach 7 Uhr, kamen die Bauarbeiter und beseitigten das umstrittene Kunstwerk.

Bevor abgebaut werden kann, wird erstmal aufgebaut. Drei Männer in Arbeitshosen schleppen Eisenstangen und Trittbretter herbei und setzen daraus ein Rollgerüst zusammen. Behänd klettern sie hinauf, ausgerüstet mit Hämmern und Akkuschraubern. Noch vor halb acht am Donnerstagmorgen fällt die erste Schraube herab. Dann schrumpft die große Mauer fast im Minutentakt, am Nachmittag fahren Lastwagen die letzten Einzelteile davon – und heute soll die Straße ab 15 Uhr dann auch wieder freigegeben sein.

Viele Anwohner haben das Ende der „Peace Wall“ in der Friedrichstraße herbeigesehnt. Das Werk der mazedonischen Künstlerin Nada Prlja teilte die Straße einen Monat lang sichtbar in Arm und Reich – was den meisten Menschen vor Ort nicht gefiel. Die Mauer trug deutliche Spuren davon: Platten fehlten, Farbe lief daran herunter. An der Stirnseite hefteten Befürworter und Gegner Statements an. Eines trug die Überschrift: „An der Kunst scheiden sich die Geister“. Jemand kritzelte darunter: „Doch das hier ist keine Kunst!“

Eigentlich sollte die Biennale-Aktion bis zum 1. Juli dauern. Doch die anhaltenden Proteste von Anwohner und Gewerbetreibenden, die Umsatzeinbußen beklagten, führten zum vorzeitigen Abbau. „Wir haben richtig gelitten“, sagt Hussein Mahawech, der hier eine italienische Pizzeria betreibt und beim Ausliefern oft große Umwege in Kauf nehmen musste.

Viele Passanten können sich beim Abbau eines Kommentars nicht enthalten. „Wird aber auch Zeit“, entfährt es einem Radfahrer. Eine Frau im Blümchenhemd, deren Balkon keine fünf Meter von der Mauer entfernt liegt, schaut dem Treiben von oben zu und ermutigt die Bauarbeiter leise.

„Das Ding ist total danebengegangen“, meint Ralph Stabbert, der jeden Morgen hier vorbeikommt, aber erst aus der Zeitung erfuhr, dass die Mauer auf die sozialen Unterschiede aufmerksam machen sollte. „Ob es so klug ist, ein Verkehrshindernis unkommentiert hinzustellen, ist fraglich“, meint er. Das scheinen auch andere so zu sehen. Auf das Durchfahrt-Verboten-Schild an der Absperrung hat jemand ein diabolisches Grinsen gemalt.

Wolfgang Kromen hingegen hätte die Mauer lieber noch stehen lassen. „Wenn eine solche Kunstaktion schon mal genehmigt wird, dann sollte man das auch bis zum Ende durchziehen“, sagt er. Doch gibt er auch zu: „Ich finde es nicht so originell, in Berlin wieder eine Mauer aufzustellen. Für Blockaden gibt es in Berlin genügend Relikte.“

Cornelia Kohlhardt, die gerade auf Fortbildung in Berlin ist, fühlt sich wie viele andere Passanten vor allem an die Berliner Mauer erinnert, die bis vor 23 Jahren ganz in der Nähe am Checkpoint Charlie verlief. „Gestern haben uns Touristen gefragt: ,Ist das die Mauer?‘ Wir haben Ja geantwortet. Da haben sie sie fotografiert“, erzählt die junge Frau.

Noch während sie spricht, zerren die drei Bauarbeiter ein Werbebanner herunter. Angebracht hatte ihn ein nahegelegenes Hotel, das die Mauer als Werbefläche nutzen wollte. Zuletzt demontieren sie die Wellblechplatten. Auf einer stand: „Achtung, Sie betreten den kapitalistischen Sektor.“ Doreen Fiedler

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