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Achim Müller

© privat

Nachruf auf Achim Müller: Zurück auf die Insel

München war ihm zu überkandidelt, in Berlin war er zuhause. Da schaffte er es von Neukölln nach Wilmersdorf. Die Geschichte eines Aufsteigers

Von David Ensikat

Wenn er tief in der Nacht beim 24-Stunden-Edeka einkaufen ging und erstmal einen Korb leerer Flaschen zum Automaten brachte, in Trainingshosen, die langen grauen Haare zurückgeklammert, ging kaum jemand davon aus, dass hier ein Aufsteiger unterwegs war, einer, der es geschafft hatte im Leben.

War aber so, ganz eindeutig. Von Neukölln nach Wilmersdorf hat er es gebracht, im Parkhaus des Edeka stand sein Mercedes, zwei Söhne hatte er, und beide sprechen in den höchsten Tönen von ihm. Hunderten, oder eher tausenden von angehenden Bankern hat er aufgezeigt, dass es sich lohnt, über die Bilanz hinauszuschauen in die weite Welt. Auch wenn die Welt, die er selbst durchmaß, nicht sonderlich weit war, was sich schon in der Art ermessen lässt, in der er seine 200-Quadratmeter-Wohnung nutzte: Da hielt er sich vor allem in der Küche auf. Umso mehr Platz hatte der eine seiner Söhne, der da nie ausgezogen ist, der allerdings sehr viel arbeitet und unterwegs ist, was wiederum Achim ein wenig befremdet hat, denn dieser Leistungsgedanke, hart schuften, um es zu was zu bringen, der lag ihm fern. „Effizienzkasper“, oder, wenn’s ganz grob klingen sollte, „Christian Lindner“ nannte er den Sohn. Was er bestimmt nicht getan hätte, wenn sich beide ihrer Zuneigung nicht gewiss gewesen wären.

In Neukölln also ist er aufgewachsen, die Eltern liebten ihren Sohn und ließen ihm viel mehr durchgehen als der Tochter. Abitur durfte er machen, sie nicht. Er sah prächtig aus, hatte Erfolg bei den Mädchen, ließ sich allerdings nur ungern vom Fußball abhalten. Er hatte vier enge Freunde, es gibt einen schönen Film über die Neuköllner Jungs, „Bist Du Beatles oder Stones“. Kaum dass sie erwachsen waren, zogen sie gemeinsam nach  München, möglichst weit weg von zuhause, denn die Welt stand offen. Sie gründeten eine Wohngemeinschaft, die sie zeitgemäß „Kommune“ nannten, hängten Ché-Poster an die Wand, sprachen freitags über Liebesdinge und Orgasmusprobleme und veranstalteten Marx-Lektürekreise. Bei denen war Achim, den die Freunde um seinen Schlag bei den Frauen beneideten, besonders engagiert.

„Ick war Kutscher“

Er störte sich an der etwas überkandidelten Münchner Atmosphäre. Kommilitonen kamen da mit dem Porsche zur Universität. Er vermisste die Berliner Kiezwelt, begab sich recht bald mit Arno, dem es ähnlich ging, zurück auf die Mauerinsel und bezog mit ihm eine kleine Erdgeschosswohnung mit Außenklo, die sie in schöner Eintracht selten aufräumten und, wenn überhaupt, sehr schnell putzten.

Umso mehr Zeit ließ er sich beim Studium, Politologie, Geschichte, Sport, denn das Leben war schön, und das bisschen Geld, das es kostete, ließ sich leicht mit dem Taxi verdienen. „Ick war Kutscher“, verkündete er später stolz und verwies damit neben seiner Neuköllner Herkunft und dem heftigen Berliner Dialekt auf seine Nähe zum entfremdet arbeitenden Teil der Gesellschaft.

Jeanette, die er im November 1969 in einer Studentenkneipe am Olivaer Platz kennen gelernt hatte, fand es nicht so gemütlich bei Arno und Achim. Sie war generell ein wenig strebsamer als er. Bereits 1973 beendete sie ihr Studium und fing an, als Lehrerin zu arbeiten. Er brauchte etwas länger.

35 Semester, alles in allem. 38 war er, als er Lehrer wurde. Immerhin wohnte er da schon in der großen Wilmersdorfer Wohnung, nur dass bisher Jeanette deutlich mehr zur Miete beitrug als er. Sie kümmerte sich auch um die Ordnung und war fürs Essen zuständig. Er indessen sorgte sich um die Ungerechtigkeit im Großen, Kapitalismus, Globalisierung und so weiter, da blieb für die Verteilung im Haushalt wenig Kapazität.

Dass Achim als Lehrer ausgerechnet am Oberstufenzentrum für Banken und Versicherungen landete, war ein Zufall und ein Glück. Hier hatte er es mit reiferen Schülern zu tun. Neben Sport unterrichtete er nämlich Geschichte und Gesellschaftskunde, und da war es einfach interessanter, mit Menschen zu sprechen, die bereits ein wenig wussten von der Welt. Auch wenn sie so anders waren als er selbst, lauter Menschen mit Sinn für Ziele, Geld, Karriere. Worüber er aber staunte: Die meisten von ihnen waren offen, frei von jeglicher Ideologie. Das passte nicht ins linke Weltbild, ließ aber hoffen, dass er mit seinem Unterricht einen gewissen Einfluss hatte auf die jungen Köpfe.

Dass das gelang, ist nicht ganz unwahrscheinlich, denn zum einen war er ausgesprochen beliebt. Und zum anderen liebte er seine Arbeit. Ein Lehrer, der nie krank war! Umso bedauerlicher, dass der Beamte, der keine Socken trug, die Jeans hochkrempelte und die Haare lang trug, mit 65 in Pension geschickt wurde.

Immerhin konnte er jetzt seinen Tagesablauf leicht modifizieren. War er früher kurz vorm Aufstehen ins Bett gegangen, konnte er jetzt bis halb fünf am Nachmittag ausschlafen, um zwischen sechs und acht noch einen kleinen Mittagsschlaf einzulegen. Sein Tag war dann die Nacht. Er schnitt Artikel aus der Zeitung aus, quatschte mit dem Sohn, mit dem er zusammenwohnte und der ihn bekochte, mitternachts am Küchentisch und telefonierte ausgiebig mit dem anderen.

Mit beiden ist er letztes Jahr noch zu den Rolling-Stones-Konzerten gegangen, mit dem einen in München, mit dem anderen in Berlin. Da war er schon 1965 dabei gewesen, als die Waldbühne zertrümmert wurde. Mitgehackt hat er aber bestimmt nicht. So etwas tun doch nur unzufriedene Charaktere.

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