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Nachruf auf Eva Heidemann: „Das geht dann schon“

Als in der Salzwüste aus dem Autoradio „An der schönen blauen Donau“ erklang, begannen sie zu tanzen

An diesem einen Tag entschied sich alles. Ihr beider Leben, das sie fortan zusammen verbringen wollten, ihre gemeinsame Zukunft, von der sie sehr schnell sehr klare Vorstellungen hatten, und der Tanzwettbewerb, den sie gewannen, was gar nicht so einfach war, denn der spielerische Finaltanz war ihr erster gemeinsamer Tanz überhaupt, und sie mussten ihn auf einer aufgefalteten Zeitung absolvieren.

Das geschah in Wien, auf Schloss Schönbrunn, wo die evangelische Studentengemeinde ein Willkommensfest für die Neuankömmlinge ausrichtete. Eva war Österreicherin, aus dem Burgenland, und Bernd Berliner, und dass diese Liebelei den Frühling überstehen würde, war wenig wahrscheinlich für Außenstehende, für die beiden hingegen gab es nie den geringsten Zweifel.

Eva zeigte sich anfangs etwas ängstlicher, denn sie war ohne Vater aufgewachsen und sorgte sich, dass Bernd ihr das als Makel auslegen würde, aber der winkte ab: „Ich heirate ja dich und nicht den Vater!“ Schlimmer war, dass er nach dem einen Auslandssemester nach Berlin zurückkehren musste. Vier Jahre des Hin und Her, des brieflichen und des telefonischen folgten, viel Fahrerei und viele Tränen des Abschieds und der Wiedersehensfreude. Im April 1964 lernten sie sich kennen, Ostern 1966 verlobten sie sich, im Juli 1968 haben sie geheiratet. Zwei Kinder, vier Enkel. 2018 unternahm die ganze Familie eine Südafrikareise, um dort, in ihrer zweiten Heimat, ihr 200jähriges Jubiläum zu feiern, 50 Jahre verheiratet, jeweils im 75. Lebensjahr. Gerade noch rechtzeitig diese Feier, denn Eva glitt immer mehr hinein ins Vergessen. All das Schöne, all die Bilder ihrer Reisen, die Begegnungen, sie vermengten sich, nur eins blieb, ihre Liebe für Bernd.

Dieses unendliche Weiß!

Das Schönste, was ihr als Jugendliche widerfahren war? Ihr Austauschjahr in Amerika, in Syracuse, da erlebte sie ein richtiges Familienleben, und sie erfuhr eine besondere Ehre: Die Austauschschüler ihrer Gruppe wurden von John F. Kennedy und seiner Frau im Weißen Haus empfangen. Das schönste Reiseerlebnis mit Bernd gemeinsam? Der Aufenthalt in der Salzwüste von Uyuni in Bolivien. Dieses unendliche Weiß! Auf dem Salz breitete der Fahrer eine weiße Tischdecke aus, richtete ein kleines Picknick aus, da erklang aus dem Autoradio „An der schönen blauen Donau“, und die beiden begannen zu tanzen.

Das war in ihrem Sabbatical-Jahr, in dem sie die Welt bereisten. Ein Vermögen brauchte es dazu nicht, aber die Gastfreundschaft vieler, und eine ausgeklügelte Organisation. Jeder durfte seine Wünsche äußern, Bernd wollte auf den Kilimandscharo, Eva ihre Jugendfreundin Jeeta wiedersehen, eine Inderin aus Malaysia, die sich in einen Chinesen verliebt hatte, und mit ihm nach Australien gezogen war. Der Zufall wollte es, dass Jeeta genau in der Woche in Kuala Lumpur ihren Bruder besuchte, als Eva und Bernd dort eintrafen. Das Wiedersehen rührte alle zu Tränen, vor allem Eva, denn sie weinte gern und viel, auch mit Wildfremden.

Die Reise in diesem Jahr ging weiter nach Neuseeland, zum Great Barrier Reef, auf die Galapagos Inseln und zurück nach Afrika, zu den Berggorillas in Uganda, zu den Gnu-Herden in der Serengeti, und weiter in die afrikanischen, die amerikanischen Wüsten.

Für sein Glück muss man reisen, denn nur in der Ferne lernst du, dass Heimat nicht nur eine Frage der Herkunft, sondern auch der Sehnsucht ist. Deswegen Afrika, immer wieder Afrika. Auch in den Jahren danach. Zur Ruhe kamen die beiden nie. Eva arbeitete anfangs wie Bernd als Lehrerin, dann, nach der Geburt der Kinder, ehrenamtlich in der Diakonie. Glaube beweist sich im Tun. Aus der Partnerschaft mit einer farbigen Gemeinde in der südafrikanischen Kap-Provinz erwuchs die Liebe zu einem Ort dort, der beinahe ihr zweites Zuhause geworden wäre: Kleinmond. 20 Mal reisten sie dorthin, sie hatten schon ein kleines Haus ausgesucht, am Hang gelegen, in der Ferne das Meer. Es sollte nicht sein, aus Rücksicht auf die Familie. Aber in den letzten Jahren brachten sie bei ihren Besuchen Bündel der alten Liebesbriefe mit und vergruben sie an den schönsten Stellen der Region.

Wenn keine Zeit war, in die Ferne zu reisen, wurde zuhause für Gäste exotisch gekocht und der entsprechende Wein serviert, was einige Kennerschaft voraussetzte, und einen gewissen Willen zur Belehrung, der besonders Bernd eignete. Das und seine Ungeduld konnten Eva zuweilen auf die Palme bringen, aber ernsten Streit gab es nie. Ein einziges Mal hat sie ihren Koffer gepackt, irgendwelche Sachen einfach hineingeworfen, und wollte aus dem Haus stürmen. Auf seine Frage wohin, hielt sie inne, was ihm Zeit zu einem nachhaltigen Versöhnungsangebot ließ.

Sie wurden sich nie zu viel, weil sie andere Menschen in ihr Leben ließen. Besucher, Austauschschüler, Kirchentagsbesucher, manchmal für eine Woche, manchmal für ein halbes Jahr. Als in der Nachbarschaft eine neue Familie einzog, die das alte Haus“ erst renovieren musste, was mit gehörigem Dreck verbunden war, lud Eva die Frau mitsamt Kindern ein: „Sie können doch nicht in diesem Schmutz wohnen! Wir rücken ein wenig zusammen. Das geht dann schon.“

Liebe war für sie Zusammenrücken, gedanklich, körperlich. Sie kuschelte sehr gern. Und sie sah Bernd noch immer gern in die Augen, und er ihr, denn so hatten sie sich verliebt. Nicht auf den ersten Blick, sondern als sie in den Stunden des ersten Tages erkannten, wie schön das Leben zusammen sein würde. Im Pflegeheim verwunderte sie seine Abwesenheit zuweilen. So bedrängte sie die Schwestern mit der Frage „Wo ist mein Mann?“ Er war bei ihr, so oft er konnte, doch auch seine Kräfte ließen nach. Das Schöne war, sie erkannte ihn, wieder und wieder, sie gingen Hand in Hand, bis zu diesem einen Morgen. Da schlief sie ein, nach dem Frühstück, und ging, was so nicht abgesprochen war. Denn eigentlich hatten sie gemeinsam sterben wollen.

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