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Neukölln: Ich vermiete Ferienwohnungen

Schlüsselübergabe, Akquise, Putzen: Benjamin Uphues ist Nomade und nur als Gastgeber in Berlin sesshaft. Er empfängt Touristen in einer Stadt, die er nach ihren Wünschen erscheinen lässt.

Wer Benjamin Uphues auf der Straße sieht, könnte ihn für einen jener Kleinkunstberliner halten, die zum Gelderwerb jonglierend an Kreuzungen stehen. Selbstgeschneiderte Flickenhose, gestopfte Wollsocken, die Frisur ein diffuses Stoppelfeld. Ein Mensch gewordener Schneidersitz, nicht unüblich in der Gegend rund um den Neuköllner Schillerkiez, wo immer mehr Hochbeete auf dem Tempelhofer Feld entstehen, und immer mehr Satellitenschüsseln von den Häuserwänden verschwinden.

Aber natürlich ist Benjamin kein Jongleur. Sondern er „mag es gerne bunt“ – und hat an dem Tag, an dem der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg morgens bekannt gibt, Ferienwohnungen künftig verbieten zu wollen, nachmittags noch einen Termin beim Notar: Er kauft eine Wohnung. Es ist seine vierte und er will sie vermieten. An Touristen.

Rund 15 000 Ferienwohnungen soll es Schätzungen zufolge in Berlin geben, Tendenz steigend. Da sie auf dem regulären Wohnungsmarkt nicht mehr angeboten werden, tragen sie dazu bei, dass die Mieten steigen. Deshalb hat der Bezirk Pankow die Zweckentfremdung von Wohnraum in einigen Vierteln mittlerweile verboten. Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte ziehen jetzt nach, und auch im Berliner Senat scheint es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis der Umwidmung von Wohnraum ein Riegel vorgeschoben wird. Das ist die eine Seite.

Andererseits machen 15 000 Ferienwohnungen bei insgesamt 1,6 Millionen Mietwohnungen in Berlin gerade einmal einen Prozent aus, und schon deshalb versteht Benjamin den „Hass“ nicht, der sich in letzter Zeit gegen die Vermieter von Ferienwohnungen aufgebaut habe.

Ein Mittwochvormittag in Neukölln, Schillerpromenade, Hinterhaus. Durch ein dunkles Treppenhaus geht es vorbei an unverputzten Klingelschildern in die erste Etage, hinein in 65 Quadratmeter, gekauft vor einem guten Jahr für 75 000 Euro. Eine Matratze auf dem Wohnzimmerboden, Flohmarktmöblierung, die Nacht in den Sommermonaten kostet knapp 70 Euro. Benjamin lebt jeweils dort, wo gerade keine Touristen sind. Wenn er ein Wochenende ausgebucht ist, macht er durch, wenn seine Wohnungen über einen längeren Zeitraum vermietet sind, fliegt er in den Urlaub.

„Ich bin ein Nomade, der seinen eigenen Leerstand bewohnt“, sagt er, 35 Jahre alt, geboren bei Nürnberg, aufgewachsen in Berlin, Waldorfschule im Märkischen Viertel. Sein Hausstand passt in zwei Reisetaschen „und wer denkt, ich habe so ein tolles Lotterleben“, der möge sich überlegen, ob er selbst bereit wäre, alle paar Tage umzuziehen. Der Lohn für dieses Leben aber sind etwa 1500 Euro, die ihm momentan angeblich im Monat bleiben – für gut 15 Stunden Arbeit pro Woche: Schlüsselübergabe, Akquise, Putzen.

Ein milder Spott über den Berlin-Hype

Dabei begann sein aktueller Job mit einer Pleite: 2010 kauft er bei einer Zwangsversteigerung für 37 000 Euro einen Dachgeschossrohling in Kreuzberg. 240 unsanierte Quadratmeter am Viktoriapark, die Benjamin zu zwei Wohnungen ausbauen will, eine für ihn, die andere zum Vermieten. Da er sich aber um die Baugenehmigung erst hinterher kümmert, erfährt er zu spät, dass in dieser Ecke Kreuzbergs der Ausbau nicht ohne weiteres gestattet ist. „Das war mein Fehler“, sagt er und hofft, bei einem Gerichtstermin irgendwann noch die Erlaubnis zu bekommen. Weil er aber so lange nicht warten mag, sucht Benjamin Alternativen, erwirbt vor einem guten Jahr für 60 000 Euro eine weitere Wohnung in Neukölln und vermietet sie an Touristen.

Bevor er nach Berlin zurückkam, lebte er sieben Jahre in Kalifornien und hatte dort Erfolg mit einer „aus Europa geklauten“ Geschäftsidee: ein Dunkelrestaurant. Mit seiner damaligen Freundin lädt er in Los Angeles, San Diego und San Francisco zum Essen im Finsteren ein, den Service besorgen Blinde, das Essen kommt vom Caterer. 100 Dollar kostet das Menü für eine Person, nach einem schwierigen Start laufen die Geschäfte gut und so kann man Benjamin wenig später bei einer Auswanderer-Doku in einem Privatsender sehen, wie er im Pazifik surft oder seiner Freundin ein Dollarbündel hinhält, „küss das Geld“ empfiehlt, woraufhin ihn sein Vater fragt, ob es wirklich nötig sei, dass er so dick auftrage. Es scheint so gewesen zu sein, damals.

Vor drei Jahren verkauft er seine Firma und kehrt zurück nach Berlin – auf dem Konto ein Geldbetrag in ungenannter Höhe und im Kopf eine Idee: mit der Berlin-Begeisterung Geld verdienen. Er sagt, dass er Berlin nicht besonders mag, und dass er schon wisse, dass er hier nicht alt werden wird, und das zu hören überrascht nicht, wenn es jemand sagt, der mit Anfang 20 für drei Jahre mit dem Surfbrett unterm Arm durch die Welt gereist ist, denn: Fürs Surfen taugt die Stadt nun wirklich nicht. Um die aktuelle Touristen-Welle abzureiten dafür umso mehr.

Am Nabel Berlins „und damit der Welt“ seien seine Wohnungen, wirbt er im Internet um Mieter, und es klingt wie ein milder Spott über den Berlin-Hype, den der Geschäftsmann Uphues auszunutzen versteht, weil er weit genug gereist ist um zu wissen, was junge Menschen gegenwärtig in dieser Stadt wollen und weil er clever genug ist, diesen Wunsch – Übernachten wie die Einheimischen, aber bitte lässig – in Geld umzumünzen.

So verschwimmen die Grenzen und die zwei roten Sperrmüllsofas, die an diesem Mittwoch auf dem Grünstreifen der Schillerpromenade vor sich hin schimmeln, sind entweder Müll oder aber eine Mischung aus Folklore und Requisite für diejenigen, die als Touristen in die Stadt kommen und nicht mehr ins Hotel wollen. Und das sei doch gut, sagt Benjamin, denn so bleibt das Geld im Viertel und dass es doch besser sei, wenn Touristen beim Bäcker um die Ecke frühstücken als in der Lobby irgendeiner Hotelkette.

Benjamin wird als Vermieter gelobt für seine Freundlichkeit und die angeblich so authentische Wohnungseinrichtung. Und weil er das weiß, hängt in seinem Schlafzimmer eine Fotocollage mit Bildern seiner Nichte: ein kleines, lachendes Mädchen. „Das ist natürlich auch Show, aber die Leute fühlen sich wohl“, sagt er, und dieser Satz sagt eine Menge aus über Benjamin. Aber noch mehr über seine Gäste.

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