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Erst einem Touristen gelang es, den Täter von Schlimmerem abzuhalten.

© Tsp

Brutaler Überfall: Ein Schläger aus gutem Hause

Ein 18-Jähriger prügelte sein 29-jähriges Opfer auf dem U-Bahnhof Friedrichstraße bewusstlos. Eine Putzkraft schaute weg, ein Tourist half – und der Schüler ist wieder frei.

Sie trafen sich durch Zufall im Bahnhof Friedrichstraße, beide wollten mit der U-Bahnlinie U 6 nach Hause. Der 18-Jährige – nach Polizeiangaben alkoholisiert und streitlustig – sieht den 29 Jahre alten Markus P. um 3.30 Uhr auf der Bank sitzen und provoziert ihn. Schnell eskaliert der Streit. Nachdem er den deutlich Älteren vermutlich mit einer Flasche in der Hand zu Boden gestreckt hat, tritt der 18-jährige Schüler seinem Opfer mehrmals auf und gegen den Kopf. Dann tänzelt er weg, wieder zurück – wie von Sinnen. Erst einem bayerischen Touristen gelingt es, ihn von Schlimmerem abzuhalten. Eine Frau hatte unterdessen über die Notrufsäule auf dem Bahnsteig die Polizei alarmiert.

Selbst lang gediente Polizisten zeigten sich erschüttert über die Brutalität, die auf dem Video zu sehen ist. Nachdem dieser Überwachungsfilm im Internet veröffentlicht wurde, stellte sich der Täter der Polizei. Ob dies auf Anraten seines Vaters – eines Juristen – geschah, ist unklar. Der Mann wollte sich auf Nachfrage am Telefon nicht äußern. Nach der Vernehmung bei der Polizei kam der 18-Jährige nicht in Untersuchungshaft, sondern wurde wieder nach Hause geschickt. Dieser Vorgang hat mehrere Gründe: Der Mann ist bislang nicht polizeilich aufgefallen. Er hat nicht nur einen festen Wohnsitz, sondern auch ein intaktes soziales Umfeld. Zudem hat der 18-Jährige aus Heiligensee die Tat umfassend gestanden. Dreimal pro Woche muss er sich jetzt auf der zuständigen Polizeiwache in Tegel melden. Dort hatte er sich am Samstagabend auch gestellt, nachdem die Polizei sein Foto mit der markanten Jacke zur Fahndung veröffentlicht hatte.

Bislang war der Täter eher positiv aufgefallen. Bis vor zwei Jahren hat er als Ruderer zahlreiche Wettkämpfe gewonnen. Als „Personen, die mich inspiriert haben“, nennt er auf seiner Facebook-Seite den Philosophen Immanuel Kant, aber auch den Gewaltrapper „Taktlos“. Er besucht eine Oberschule in Reinickendorf.

Das Opfer wird nun von den Eltern und der Schwester betreut. Markus habe starke Kopfschmerzen und Störungen in der Motorik, bei der Wahrnehmung und auch Konzentrationsschwächen, berichteten die Verwandten dem Tagesspiegel. Zum Teil erkenne er sein Gegenüber nicht sofort. Die Mediziner im Virchow-Klinikum in Wedding haben ein „Schädel-Hirn-Trauma dritten Grades“ diagnostiziert. Wenn sich die Störungen am Dienstag nicht legen, müsse Markus wieder zurück ins Krankenhaus. Langzeitschäden am Körper seien derzeit nicht zu befürchten, unklar bleibe jedoch, wie die Psyche damit fertig werde.

An die Tat könne sich Markus nicht erinnern, berichten die Verwandten. Der 29-Jährige habe sich jedoch das Video der Überwachungskamera angesehen. Die Familie des Mannes aus Tempelhof ärgert sich weniger darüber, dass der Täter wieder auf freien Fuß gesetzt wurde, als über den Tatvorwurf der Justiz. Diese hat auf versuchten Totschlag erkannt und nicht auf versuchten Mord. Familie P. hat deshalb einen auf Opferrecht spezialisierten Juristen eingeschaltet. „Das war ein menschenverachtender Vernichtungswille“, sagt Jurist Thomas Kämmer. Für ihn ist die Tat versuchter Mord aus niederen Beweggründen. Am Dienstag will er gegen die Einstufung der Justiz vorgehen.

Am Osterwochenende hat sich die Familie von Markus P. bei dem Zeugen aus Bayern persönlich bedankt, der ihrem Sohn wohl das Leben gerettet hat. „Die Familie ist ganz gerührt über die Zivilcourage“, sagte Kämmer. Wie berichtet, war der Tourist sogar noch von dem Freund des 18-Jährigen attackiert worden. Der Bayer erlitt dabei leichte Verletzungen.

Ein anderer Mann hat dagegen auf dem U-Bahnhof das Weite gesucht – eine Reinigungskraft. Ungerührt leerte der Mann einen Mülleimer, während Markus P. nur etwa zwei Meter entfernt attackiert wurde – und verschwand dann einfach. Dies ist in den ersten Sekunden des Videos am rechten Bildrand zu sehen. Gemeldet hat sich der Mann nicht; er hat auch keine Hilfe geholt. Am Dienstag will die Mordkommission seinen Namen ermitteln, um ihn zu befragen. Nach BVG-Angaben arbeitet der Mann im Auftrag einer Privatfirma. Unklar blieb gestern, ob dieses Wegschauen als unterlassene Hilfeleistung gewertet werden kann.

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