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Peter John

© ddp

Fahndung nach Bombenleger: Die Spur der Feigheit

In Berlin ist sein Bild bekannt. Peter John, 32, gesucht, weil er bei Verwandten eine Bombe legte, die fast seine Nichte tötete. Neid soll ihn getrieben haben, dieses geringe Gefühl. John gilt weiterhin als hochgefährlich. Wie die Soko "Charlyn" nach ihm fahndet

Neid soll ihn getrieben haben. Dieses geringe Gefühl. Eine „Eigenschaft des Teufels“, hat der britische Philosoph Francis Bacon gesagt.

Aus Neid montierte Peter John, 32, eine Sprengfalle an den Briefkasten im Flur eines mehrstöckigen Mietshauses im Berliner Stadtteil Rudow im Süden von Neukölln. Es ist das Haus, in dem seine Verwandten wohnen. Auf den Tag genau eine Woche ist das jetzt her.

Dunkel und kalt

Es ist nachmittags, 16 Uhr 20, draußen ist es dunkel und kalt, da geht Johns Nichte Charlyn, ein zwölfjähriges Mädchen, Schülerin am Gymnasium, an den Briefkasten, um die Zeitungen aus dem Schlitz zu ziehen. In diesem Moment explodierte die Sprengfalle. Der Knall ist kilometerweit zu hören. Die Bombe zerfetzt den Arm des Kindes, verbrennt sein Gesicht. Blutüberströmt liegt Charlyn im Hausflur.

Rettungswagen jagen herbei, fahren das Mädchen ins Unfallkrankenhaus Marzahn. Charlyn wird ins künstliche Koma versetzt, die Ärzte flicken den Arm mit Haut- und Muskelgewebe aus ihrem Rücken. Die Polizei bewacht den Operationstrakt, bewacht bis heute das Kind und seine Familie.

Am Montagabend holten die Ärzte Charlyn zurück ins Bewusstsein. Lebensgefahr bestehe nicht mehr, sagten sie am Dienstag, der Zustand sei noch immer sehr kritisch.


Polizei: "Er hat nichts zu verlieren"

Während die Ärzte um Charlyns Leben kämpften, fing eine ganze Stadt an, den Bombenleger zu suchen. Ein Großeinsatz, wie er seit der Fahndung nach dem Kaufhauserpresser Dagobert nicht mehr vorgekommen ist. „Alle Spezialeinheiten, die Rang und Namen haben, sind im Einsatz“, sagt ein Ermittler. Wenn sie eine Spur verfolgen oder glauben, zu wissen, wo John sich versteckt, rücken sie alle an: die Elitebeamten vom Spezialeinsatzkommando (SEK), die Observateure vom Mobilen Einsatzkommando (MEK), die Sprengstoffexperten von der Kriminaltechnik, Zielfahnder und sämtliche Einsatzhundertschaften. Und diesmal haben sie, anders als im Fall Dagobert, die Sympathien auf ihrer Seite.

Peter John gilt als hoch gefährlich. Die Polizei schließt nicht aus, dass er einen weiteren Sprengsatz zünden wird, sollte man ihn stellen. „Er hat ja nichts zu verlieren“, sagt der Ermittler.

Die Berliner kennen Johns Gesicht vom Foto, das die Polizei herausgegeben hat. Es ist ein ebenmäßiges, recht sympathisches Gesicht, kurze dunkle Haare, dunkle Augen. So sehen viele aus. Und so haben sich bisher alle Hinweise auf Verdächtige als falsch herausgestellt.

In der Nacht zu Montag gab es einen Polizeieinsatz in Friedrichshain, am Montag wurde dann in Prenzlauer Berg ein Mann überwältigt, der John zum Verwechseln ähnlich sieht. Der war danach so wütend, dass er den Blumenstrauß als Entschuldigung von der Polizei nicht annehmen wollte. Der Strauß verwelkt jetzt im Präsidium.

Die Ermittlungen führt die Sondergruppe „Charlyn“. Die leitet der Chef der Mordkommissionen, Jörg Dessin. Seit Tagen haben die Beamten kaum Pause. Die Müdigkeit steckt dem 43-jährigen Dessin und seinen Leuten in den Knochen. Der Kaffeekonsum steigt täglich, der Nikotinverbrauch auch. „Drei bis vier Stunden Schlaf pro Nacht sind das Maximum“, sagt Dessin. Die übrige Zeit verfolgen die Beamten Spuren, gehen Hinweisen nach, observieren Wohnungen, sie kreisen ihn ein und warten auf den Moment, an dem sie endlich zugreifen können. Alle seien hoch motiviert, den Mann zu schnappen, der in seinem Familienkrieg sogar den Tod eines kleinen Mädchens in Kauf nimmt.

Ermittler: "Wie Profiler"

Sie haben sich ein Bild von ihm gemacht, von Peter John, dem Bombenleger. „Es ist wie ein Puzzle-Spiel, das wir zusammenlegen“, sagt Dessin. Wir, das sind die Fahnder und Ermittler, und diejenigen, die in amerikanischen Krimiserien „Profiler“ genannt werden, bei der Berliner Polizei aber zur weniger aufregend klingenden Abteilung „Operative Fallanalyse“ gehören.

Dort arbeiten Polizisten, die speziell geschult sind, ein Persönlichkeitsprofil eines Täters zu erstellen. Dabei orientieren sie sich auch an Grundmustern. Eins davon lautet: Ein Bombenleger ist feige. Er zündet einen Sprengsatz oder lässt eine Bombe hochgehen und ist selbst nicht am Tatort.

Die Polizei hat es also mit einem hoch gefährlichen und feigen Täter zu tun. Ein unverheirateter, kinderloser Mann, der bis vor dem Bombenanschlag in einer Erdgeschosswohnung in der Nord-Neuköllner Reuterstraße lebte. Einer, der schon 50 Straftaten begangen hat: Einbruch, Diebstahl, Sachbeschädigung. Der schon zweimal im Gefängnis saß und der als junger Mann bei der Bundeswehr war. Dadurch habe er „Erfahrung im Umgang mit Waffen und Sprengstoff “, wie Dessin sagt. Eine gewisse „Affinität“ zu diesen Dingen werde ihm seit dieser Zeit zugeschrieben. So drückt es Dessin aus.

Am Wochenende hat John, der überall gesucht wird, eine lange E-Mail an eine Boulevardzeitung geschickt. Sie kommt einem zusätzlichen Geständnis gleich. John erwähnt in nur wenigen Zeilen, dass es ihm leid tue, dass seine kleine Nichte zum Opfer wurde, doch wirkliche Reue ließe sich daraus nicht erkennen, sind sich die Ermittler einig. Vielmehr habe er sich in dem längeren Teil der Nachricht als Opfer dargestellt.

Schwierige Familienkonstellation

Demnach kam John als Kind zu einer Pflegefamilie. Die Familienkonstellation sei schwierig gewesen. Er wurde von den Pflegeeltern nicht adoptiert. Vielleicht ist es eine tiefe Kränkung oder das Gefühl, nicht richtig dazuzugehören, die Spuren in ihm hinterlassen haben. Daraus habe sich eine ganz eigene, gefährliche Persönlichkeit entwickelt. John soll sich benachteiligt gefühlt haben und vor allem seinem Schwager Magnus und seiner Stiefschwester Christine das Leben, das die in Rudow führten, nicht gegönnt haben.

Seinem verhassten Schwager hatte er bereits am Morgen des Tat-Tages einen Sprengsatz aufs Autodach gelegt. Er befand sich in einer Dose, die in einem Päckchen steckte. Erst am Nachmittag wurde der Schwager misstrauisch und ging zur Polizei. Er hatte Glück, dass der Sprengkörper nicht vorher zündete. Und während die Kriminaltechniker den Sprengsatz unschädlich machten, knallte es in der Rudower Mehrfamilienhaus-Siedlung am Selgenauer Weg. Charlyn hätte tot sein können.

Im Unfallkrankenhaus Marzahn kämpfen der Chefarzt der Abteilung für Hand-, Replantations- und Mikrochirurgie, Andreas Eisenschenk, und ein ganzes Team von Ärzten um ihr Überleben.

An mehreren Tagen wird die Zwölfjährige stundenlang operiert. Eisenschenk, 51 Jahre und seit elf Jahren an dem Ost-Berliner Krankenhaus. ist eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Je nach Saison versucht er abgerissene Daumen, Finger, Arme und andere Körperteile zu retten: Im Winter sind es zum Jahreswechsel die schweren Böllerverletzungen – wenn er Finger annähen muss. Im Frühjahr häufen sich die Unfälle, bei dem sich die Heimwerker bei der Arbeit mit der Kreissäge verletzen. Auch die junge Frau, deren Arm bei einem schlimmen Busunfall vor drei Jahren abgetrennt wurde, hat er operiert. Ihr Arm war aber nicht mehr zu retten. Auch Charlyns Verletzungen sind für den erfahrenen Mediziner und sein Team eine große Herausforderung. Der Arm der Zwölfjährigen ist durch die Detonation in sich zerrissen. Die Mediziner mussten die Einzelteile erst sortieren, um sie zuordnen zu können.

Charlyn wird psychologisch betreut

Den zerfetzten Arm konnten die Ärzte vorerst retten. Doch erst am heutigen Mittwoch könnten sie eine verbindliche Aussage machen, ob die Operation geglückt sei, sagt eine Kliniksprecherin. Ob Charlyn noch richtig sehen und hören kann, ist noch unklar. Um das Kind nicht zu sehr zu belasten, werden die Tests später gemacht. Das Mädchen wird nun von Psychotraumatologen betreut. Sie behandeln Patienten, die ein schweres Trauma erlebt haben. Denn die Narben an Charlyns Arm und in ihrem Gesicht werden wahrscheinlich heilen.

Die Wunde, die der Anschlag in ihrer Seele hinterlassen hat, möglicherweise nicht.

Tanja Buntrock   

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