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Update

Mann enthauptet Ehefrau: Mahnwache für ermordete Frau in Kreuzberg

Nach der bestialischen Tötung einer 30-jährigen Frau in Kreuzberg haben mehr als 100 Männer und Frauen eine Mahnwache abgehalten. Der geständige Ehemann wird psychiatrisch begutachtet - dabei geht es um die Frage, ob Orhan S. schuldfähig ist.

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Aus den Boxen einer alten Stereoanlage schallen türkische Trauergesänge in den Hof. Mädchen mit Kopftüchern legen Blumen nieder, entzünden Kerzen, ein junger Mann trägt ein Tablett mit kleinen Teegläsern durch die Menge. Mehr als 100 Männer und Frauen, viele mit Kindern, sind in den Hof in der Köthener Straße 37 gekommen. Hier hat in der Nacht zu Montag der 32-jährige Familienvater Orhan S. die Bluttat verübt, die bundesweit Entsetzen hervorrief.

Auch bei Kazim Erdogan, dem Vorsitzenden von „Aufbruch Neukölln“, einem Verein türkischer und arabischer Väter aus Berlin, der für Dienstagabend zu der Mahnwache am Tatort aufgerufen hatte. Zahlreiche Kamerateams filmen das Gedenken, als Erdogan sagt: „Wir müssen Antworten auf die Frage finden, wie eine solche Tat im 21. Jahrhundert geschehen konnte.“ Er kündigt an, Spenden für die Kinder der ermordeten Frau sammeln zu wollen. Neben dem Chef der Türkischen Gemeinde, Kenan Kolat, sind auch Mitglieder des Abgeordnetenhauses da: Udo Wolf von der Linken, Kurt Wansner von der Kreuzberger CDU und Özcan Mutlu von den Grünen. Mutlu zieht sich wie viele hier ein T-Shirt über, auf dem „Männer gegen Gewalt“ steht.

Der mutmaßliche Täter soll in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden. Untersuchungen hätten ergeben, dass die Schuldfähigkeit des 32-Jährigen ausgeschlossen oder eingeschränkt sei, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner. Nachbarn hatten nach der Tat berichtet, dass Semanur S. Freundinnen erzählt habe, dass ihr Mann unter Schizophrenie leide und Medikamente einnehme. Die Staatsanwaltschaft äußerte sich konkret dazu nicht.

In Kreuzberg liegen Blumen auf einem Fensterbrett in dem Haus, in dem ein Mann seine Frau getötet hat.
In Kreuzberg liegen Blumen auf einem Fensterbrett in dem Haus, in dem ein Mann seine Frau getötet hat.

© dapd

Zuvor hatte der 32-jährige Orhan S. in der Vernehmung durch Ermittler der Mordkommission gestanden, seine Ehefrau Semanur S. (30) umgebracht zu haben. Dabei soll er auch geäußert haben "nichts zu bereuen". Dies bestätigte ein Ermittler dem Tagesspiegel.

Den lautstarken Streit und offenbar auch den Gewaltexzess hatten viele Nachbarn mitbekommen. Dennoch konnte die Tat nicht verhindert werden. Während Anwohner berichten, dass es etwa 45 Minuten dauerte, bevor Hilfe eintraf, protokollierte die Polizei den Eingang von vier Notrufen: Zwei um 1.14 Uhr, einer um 1.16 Uhr, ein weiterer um 1.20 Uhr. Die erste Funkstreife sei um 1.19 Uhr eingetroffen, sagte ein Polizeisprecher. „Da war die Frau jedoch schon tot, und der Kopf lag bereits im Hof.“ Die Beamten hätten den Einsatz wegen Häuslicher Gewalt von der Einsatzleitzentrale gemeldet bekommen und seien „unverzüglich zum Einsatzort gefahren“, hieß es.

Details zum Geständnis des Tatverdächtigen Orhan S. nannte die Mordkommission nicht. Doch wie berichtet, haben etliche Nachbarn des Wohnblocks in der Köthener Straße in der Nacht zu Montag das grausige Verbrechen mitbekommen: So soll der 32-Jährige seine Frau auf der Dachterrasse der Wohnung zunächst zusammengeschlagen und getreten haben. Anschließend soll er zwei Messer gewetzt und sie enthauptet haben. Den Kopf warf er dann vor den Augen von Anwohnern hinunter in den Hof. Später fanden die Polizeibeamten weitere abgetrennte Körperteile. Trotz massiver Gegenwehr konnten die alarmierten Polizeibeamten den Mann niederringen und festnehmen.

Die sechs Kinder des Paares, die sich während der Tat in der gemeinsamen Wohnung in der Köthener Straße aufhielten, sind mittlerweile untergebracht worden. „Wir haben ein Heim gefunden, das alle sechs Kinder aufnimmt“, sagt die Bezirksstadträtin für Familie, Monika Herrmann (Grüne). Zusammen mit dem Heim und dem Träger arbeite man nun an einem Konzept, wie die vier Jungen und zwei Mädchen im Alter von 13 Jahren bis zwölf Monaten künftig betreut werden – dazu gehört beispielsweise eine umfassende psychologische Betreuung. Entgegen ersten Meldungen haben die Kinder die Tat möglicherweise nicht mit anschauen müssen. Die Kleineren scheinen geschlafen zu haben, die größeren waren offenbar in ihren Zimmern. "Noch ist aber völlig unklar, ob und wie viel die Kinder von dem Geschehen mitbekommen haben", sagt Herrmann: "Unsere Betreuer versuchen das gerade sehr behutsam herauszufinden."

"Wir sind entsetzt über diese schreckliche Tat."

Bildergalerie: Mahnwache für ermordete Frau in Kreuzberg

Die Tat und ihre Hintergründe werfen allerdings auch generelle Fragen auf. Wie schwer ist es für Jugendämter überhaupt, zu konfliktträchtigen Familien vorzudringen, die in einem Umfeld leben, in dem sich soziale Probleme häufen? Herrmann glaubt, dass es vor allem darum geht, direkten Kontakt herzustellen. In Ihrem Bezirk wurden zu diesem Zweck acht Familienzentren aufgebaut. Dort können Mütter sich treffen und die Kinder spielen. Darüber hinaus versuchen Vermittler zusammen mit dem Jugendamt, Kinder und Mütter auf unkonventionellen Wegen anzusprechen – auf Spielplätzen, in Schulen oder Moscheen. „Wir wirken auch darauf ein, dass die Familien ihre Kinder so früh wie möglich in die Kita schicken“, sagt Herrmann.

Dass sich in dem Wohnblock in der Köthener Straße schon vorher heikle Fälle zutrugen, ist der Stadträtin nicht bekannt. Für einen sozialen Brennpunkt hält sie die Gegend nicht. Generell seien die Risikofaktoren überall dort am höchsten, wo eine hohe Arbeitslosigkeit, Armut und daraus resultierende Probleme wie Alkoholmissbrauch aufeinandertreffen, sagt Herrmann.

Der Verein „Aufbruch Neukölln“, der versucht, Eltern mit Migrationshintergrund in schwierigen Lebenssituationen zu helfen, verurteilte „dieses barbarische Verbrechen aufs Schärfste“. Der Vorsitzende Kazim Erdogan ist Psychologe und arbeitet seit vielen Jahren mit türkischen Männern. Er hat für Dienstagabend spontan eine Kundgebung um 19 Uhr vor dem Haus des Opfers organisiert. "Wir hoffen, dass etwa 300 Leute, Frauen und Männer, daran teilnehmen", sagt der Vorsitzende.

Dabei würden Vereins-T-Shirts mit dem Aufdruck: "Männer gegen Gewalt" in türkischer und deutscher Sprache verteilt. Erdogan werde eine Rede halten und dabei auch auf die oft schwierigen Lebenssituationen und Sprachprobleme von Migrantenfamilien eingehen. Bei familiären Problemen spitze sich die Situation in vielen Familien oft dramatisch zu, sagt er. Zudem habe der Verein ein Spendenkonto für die sechs Kinder geschaffen, die nun ohne Mutter aufwachsen müssen.

"Wir sind entsetzt über diese schreckliche Tat, insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch noch Kinder anwesend waren", sagte auch die Geschäftsführerin des Vereins BIG e.V., Patricia Schneider, der sich seit Jahrzehnten um Opfer häuslicher Gewalt kümmert und mit der Berliner Polizei kooperiert. Schneider betonte, dass das Hilfesystem für Opfer häuslicher Gewalt in Berlin recht gut ausgebaut sei, "doch man muss diese Frauen zunächst einmal auch erreichen können", merkt sie an. Dies sei häufig besonders bei Migrantinnen, die oftmals recht abgeschottet leben und teilweise schlecht oder gar nicht Deutsch sprechen, schwierig. Da auch die Kinder von der häuslichen Gewalt in der Familie betroffen sind, weil sie diese mitbekommen, müsse der Weg über die Kinder führen: "Wir versuchen mit unseren Projekten an Grundschulen über die Kinder an deren Mütter zu kommen, die der Gewalt des Ehemannes oder Lebenspartners ausgesetzt sind", erklärt Schneider.

So fänden regelmäßig Workshops in 4. und 5. Klassen statt, in denen Trainer von BIG e.V. - darunter auch Männer mit Migrationshintergrund - den Grundschülern etwas zum Thema Gewalt in der Familie erzählen und Wege zur Hilfe aufzeigen. "Anschließend gibt es eine freiwillige Sprechstunde, in der die Kinder sich den Trainern oder der Lehrerin anvertrauen können", sagt sie.

Auch im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg habe es diese Workshops an Schulen regelmäßig gegeben. Die Erfahrung zeigt, dass etwa fünf bis acht Kinder sich nach dem Projekt in der Sprechstunde offenbaren. "Je nach Einzelfall wird dann entschieden, wie und in welcher Form der Familie in dieser Situation geholfen werden kann", sagt Schneider. Das ist in der Regel der Versuch, ein vertrauliches Gespräch mit der Mutter zu führen. In Einzelfällen sei es aber auch schon passiert, dass sofort das Jugendamt informiert und das betroffene Kind aus der Familie geholt wurde. (mit dapd)

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