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Stau bei der Essensausgabe: Die Bahnhofsmission am Zoo hat dieser Tage alle Hände voll zu tun.

© dpa

Berliner Obdachlose: Polizei will Kältetote nicht mehr melden

Um Fehler bei der Angabe der Todesursache zu vermeiden, sollen die Toten in Zukunft nach einer Obduktion von der Sozialverwaltung vermeldet werden. Die Bahnhofsmission ist bereits völlig überlastet.

Über Silvester wird’s zwar etwas milder, aber danach sollen die Temperaturen wieder schnell in den Eiskeller rutschen. Experten befürchten die ersten Kältetoten. Treffen könnte es Obdachlose, aber auch Menschen, die zu Neujahr zu viel trinken und draußen einschlafen. „Es könnten Menschen sterben“, heißt es bei der Berliner Stadtmission.

In diesem Winter hat es in Berlin noch keinen Kältetoten gegeben, bestätigen alle beteiligten Institutionen. Die Polizei teilte indes überraschend mit, dass Erfrorene, anders als in der Vergangenheit, nicht mehr vom Präsidium gemeldet werden. Dies solle künftig die Sozialverwaltung übernehmen, wenn denn ein Obduktionsergebnis vorliegt. Hintergrund der Änderung ist ein Fall aus dem vergangenen Winter. Damals hatte die Polizei einen Toten am Klausenerplatz als Kältetoten vermeldet. Später habe die Obduktion ergeben, dass der Mann einen Herzinfarkt hatte. Dieser Fehler sei der Kripo so unangenehm gewesen, dass die Fälle nicht mehr bekannt gemacht werden sollen. Experten befürchten nun, dass die Öffentlichkeit gar nicht mehr von erfrorenen Obdachlosen erfährt.

Eine Berliner Statistik über die Fälle der Vergangenheit gibt es nicht. Bundesweit zählt die Arbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe erfrorene Obdachlose. Wie Geschäftsführer Thomas Specht sagte, seien in diesem Winter bundesweit zwei Opfer bekannt geworden, einer in Ulm, einer in Trier. Im vergangenen Winter zählte der Verein 17 erfrorene Obdachlose, davon drei in Berlin. Die Statistik beruhe aber nicht auf offiziellen Meldungen, sondern auf Presseberichten.

Nach Schätzung der Diakonie suchen sich rund 4000 der 11 000 Berliner Wohnungslosen selbstständig einen Platz zum Übernachten, bei Freunden oder auf der Straße. Die übrigen kommen in öffentlichen Einrichtungen, beispielsweise Wohnheimen, unter. Laut Kältehilfe stehen den Obdachlosen etwa 470 Notunterkünfte zur Verfügung. An kalten Abenden werde die Hotline bis zu 17 mal angerufen, meist von Passanten, die bedürftigen Menschen begegneten. Diese würden dann mit dem Kältebus auf die freien Notunterkünfte verteilt – wenn die Obdachlosen das denn wollen.

Laut Dieter Puhl, Leiter der Bahnhofsmission am Zoo, ist die Lage desaströs. In diesem Winter habe sein Haus 25 Prozent mehr Besucher als 2009. Darunter seien auffallend viele alte Menschen. Mit 170 Gästen sei die Stadtmission an der Lehrter Straße regelmäßig überfüllt. „Wir platzen aus allen Nähten“, sagt Puhl. Eigentlich sei bei 120 Übernachtenden die Schmerzgrenze erreicht. Neben der geringen Zahl an Notunterkünften sei auch der Mangel an frei zugänglichen sanitären Anlagen besonders bedrückend.

Die drei U-Bahnhöfe, die über Nacht Obdachlosen Zuflucht bieten sollen, werden nach Angaben der BVG so gut wie nicht genutzt. In der Nacht auf Dienstag habe nur eine Person das Angebot wahrgenommen. Dies sei ein gutes Zeichen, so eine Sprecherin. Es zeige, dass die Obdachlosen genügend bessere Plätze fänden. So wie Sabrina B., die lieber den Automaten-Raum einer Bank nutzt, als den U-Bahnhof Südstern. Es sei einfach zu kalt da unten. „Das hält man nur aus, wenn man zugedröhnt ist.“ Hinter dem Geldautomaten fühlt sich die die junge Frau auch sicherer. Viele schlafen auch in fahrenden Zügen, denn die sind meist warm. Am Mittwochmittag war in einer S-Bahn ein Obdachloser tot gefunden worden, identifiziert ist er noch nicht. Er soll eines natürlichen Todes gestorben sein, hieß es bei der Polizei.

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