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Prozess: Baby im Rinnstein: Mutter wieder vor Gericht

Der gewaltsame Tod eines Säuglings und die "Entsorgung" der Leiche unter einem Auto am Straßenrand hat viele Berliner empört. Ab heute wird der Fall neu aufgerollt. Vor allem die Rolle des Vaters wirft Fragen auf.

Das Verbrechen war entsetzlich, die mutmaßliche Täterin bald gefasst: Sabrina R. soll ihren fünfeinhalb Monate alten Sohn tödlich misshandelt und unter einem parkenden Auto abgelegt haben. Das stand für die Ermittler fest und auch für die 22. Große Strafkammer des Landgerichts. Die Mutter wurde auf Dauer in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen. Sie legte Rechtsmittel ein, dachte dann aber, dass eine Revision nichts bringt, und zog sie zurück. Doch es war zu spät. Der Fall des „Rinnsteinbabys“ wird ab heute neu verhandelt (9 Uhr, Saal 618).

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte das erste Urteil im August aufgehoben. Die Beweiswürdigung sei „lückenhaft“, bemängelte der BGH. Die Berliner Richter hätten sich nicht genügend mit „zahlreichen Beweisanzeichen“ für eine Täterschaft des Vaters des Kindes auseinandergesetzt. Sie waren davon ausgegangen, dass Benjamin W. zur Tatzeit nicht wusste, wo seine Ex-Freundin Sabrina R. mit dem kleinen Santino wohnte. Hier aber sah der BGH „Fragwürdigkeiten“, denen „nicht mit der gebotenen Sorgfalt“ nachgegangen worden sei.

Es war am 16. November 2006, als eine Passantin auf ihrem Weg zum S-Bahnhof in Niederschöneweide ein leises Wimmern hörte: Vor dem rechten Vorderreifen eines am Straßenrand geparkten Autos lag ein Baby. „Es war richtig festgekeilt“, erinnerte sich die Zeugin im Prozess. Der Fahrer des Autos kam wenig später. Beim Ausparken wäre das Kind vermutlich überrollt worden.

Die damals 22-jährige Sabrina R. war nicht zu Hause, als Spürhunde den Weg vom Fahrzeug zu ihrer Wohnung in der Brückenstraße fanden. Sie wurde am nächsten Tag festgenommen. Zu dieser Zeit kämpften Ärzte um das Leben des Jungen. Die Wirbelsäule war gebrochen, er hatte ein Schädelhirntrauma, es gab Frakturen an den Rippen. Santino starb fünf Tage später. Er sei Opfer eines „lang andauernden Gewaltausbruchs“ geworden, erklärte ein Rechtsmediziner.

Sie habe gar kein Kind, sagte die Mutter bei ihrer Verhaftung. Sie saß in der Zelle, als sie vom Tod ihres Sohnes erfuhr. Zeugen sagten, sie habe „spontan und unter großer emotionaler Beteiligung“ ihren Ex-Freund Benjamin W. der Tat bezichtigt. Die Ermittler aber sahen „keine tragfähigen Verdachtsmomente“ gegen ihn. Fast fünf Monate dauerte der erste Prozess gegen die Mutter. Das Kind sei „ihr Ein und Alles“ gewesen, berichteten Zeugen. Sabrina R. schwieg bis kurz vor dem Urteil. „Ich bin unschuldig“, beteuerte sie in ihrem Schlusswort.

Sabrina R. leidet an einer schizophrenen Erkrankung. Sie lebte in einer Kriseneinrichtung, als sie den etwa gleichaltrigen Benjamin W. kennenlernte. Die Beziehung war schwierig. W. soll Sabrina R. geschlagen haben. Sie verließ ihn, als das Kind drei Monate alt war. Als sie mit dem Jungen in eine eigene Wohnung zog, hielt sie die Adresse vor W. geheim.

Die Richter im ersten Prozess sahen „keine vernünftigen Zweifel daran, dass die Angeklagte die Täterin ist“. Wegen ihrer Erkrankung sei die Mutter jedoch nicht schuldfähig gewesen. Vom Vorwurf des Totschlags wurde sie freigesprochen. Sabrina R. sei aber weiter gefährlich, schätzten die Richter ein und ordneten ihre Unterbringung in der Psychiatrie an. Nun muss die 29. Große Strafkammer entscheiden, ob es dabei bleibt.

Kerstin Gehrke

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