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Psychiatrisches Gutachten: Herr über Leben und Tod

Das psychiatrisches Gutachten im Prozess um den Mord an einem Obdachlosen spricht von „Überlegenheitsgefühlen“ des Täters. Der Verteidiger beharrt auf Totschlag nach einem Streit um Wechselgeld.

Von Frank Jansen

Einen grausigeren Prozess kann man sich kaum vorstellen. Tag für Tag schwirren durch den Gerichtssaal Wörter wie Torso, Gliedmaßen, Verwesung, ausgeschält, Hirnmasse. Immer wieder wuchtet die Vorsitzende Richterin die Tatwaffe hoch, eine schwere Axt mit ausladender rostbrauner Klinge. Manche Details, die Polizeizeugen und Gutachter schildern, erregen bei Zuschauern fast Brechreiz. Und die Blicke wandern zum Angeklagten. Mario Z. (28) sitzt da wie eine Statue, das Gesicht zur bleichen Maske erstarrt. Zur Tat äußert er kein Wort. Was geht in dem geschniegelten Germanistikstudenten vor, der eines der furchtbarsten Verbrechen in Berlin seit der Wiedervereinigung begangen hat?

Er brachte in der Nacht zum 30. August 2009 in seiner Wohnung in Schöneberg den Obdachlosen Jochen G. um. Mario Z. hat ihm mit der Axt den Schädel zerhauen, mit einem Messer in den Körper gestochen und dann die Leiche zerteilt. Kopf und Torso legte er auf einem Bahngelände in Schöneberg ab. Kurz darauf offenbarte er sich Freundin und Bewährungshelfer. Mario Z. hatte Ende 2005 auf der Straße einen Mann beraubt. Die Polizei nahm Z. am 1. September fest. Ein halbes Jahr später, nach vier Prozesstagen und dem Auftritt aller Zeugen, ist immer noch unklar, was Mario Z. getrieben hat. Es sei „denkmöglich“, sagte am Mittwoch der Gutachter Hans-Ludwig Kröber, Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie an der Charité, dass sich Z. „als Herr über Leben und Tod“ inszenieren wollte – erst recht nach dem Tod des Vaters zehn Tage vor der Tat, den Z. offenbar nur schwer verkraftete. Diese Motivlage entspräche der Anklage, in der es heißt, Mario Z. habe „einen perfekten Mord“ begehen wollen. Kröber spricht von „Überlegenheitsgefühlen“, die der Angeklagte gegenüber dem Obdachlosen empfunden haben könnte, als er ihn am Bahnhof Zoo aufgabelte. Der Psychiater schließt auch nicht aus, dass die Alkoholisierung von Z., die bis zu 2,6 Promille erreicht haben könnte, zu erheblicher Enthemmung führte.

Der Verteidiger beharrt darauf, Z. habe sich mit dem Obdachlosen um Wechselgeld vom Bierkauf gestritten und dann, alkoholisiert und hoch erregt, mit dem Beil zugeschlagen. Das wäre Totschlag, kein Mord . Doch ein Zeuge hat am Montag die Theorie vom perfekten Mord bestätigt. Schon vor Jahren habe Z. sinniert, „wie es ist, wenn man jemanden umbringt“. Anfang 2009 habe man „Gedankenspiele“ über einen perfekten Mord angestellt. Mario Z. habe davon gesprochen, die Leiche zu zerteilen und an einem Bahnhof abzulegen. Der Zeuge will Angst bekommen und das Thema gewechselt haben. In der Aussage gab es allerdings Widersprüche.

Vom Hang zur Gewalt und brutalen Sexpraktiken berichtete am Montag zudem seine Ex-Freundin, eine Frau aus der Gothic-Szene. Der düsteren Subkultur fühlte sich auch Mario Z. zugehörig, vor etwa zwei Jahren. Im Prozess ist außerdem zu hören, wie er später versuchte, in der schlagenden studentischen Verbindung „Landsmannschaft Brandenburg“ Fuß zu fassen. Er flog allerdings raus, als er sich mit einem Mitglied prügelte.

Der Gutachter beschreibt einen Mann mit zwei Gesichtern. Mario Z. war ein Aufsteiger, er hatte es nach Hauptschule und Malerlehre zum Studenten gebracht, trotz schwieriger Kindheit. Die Eltern hatten sich früh getrennt. Andererseits reagierte er aggressiv, wenn er sich unterlegen fühlte. Mario Z. habe versucht, „seine eigene Rolle zu finden“, sagt Kröber. Das wird er die nächsten Jahre im Gefängnis tun müssen. Kommende Woche wird wohl das Urteil verkündet.

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