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Die Schießstände der Berliner Polizei sind marode - und offenbar auch gesundheitsgefährdend.

© dpa

Update

Streit um Trainingseinrichtungen in Berlin: Polizei schießt nicht mehr in Wannsee

Nach Einschätzung der Behörde kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Dämmmaterial der Anlage krebserregend ist.

Auf dem Polizeischießstand in der Kruppstraße dürfte jetzt noch mehr Betrieb herrschen als ohnehin schon. Seit Donnerstagmorgen 8 Uhr ist die Anlage in Moabit die einzige von ehemals 20, auf der Berlins Polizisten einmal jährlich ihr vorgeschriebenes Schießtraining mit scharfer Munition absolvieren können. Polizeipräsident Klaus Kandt verfügte am Donnerstag „mit sofortiger Wirkung ein vorübergehendes Nutzungsverbot“ des Schießstands in Wannsee, weil das Training in den von der Polizei angemieteten Hallen der privat betriebenen Großanlage (fünf Schießstände, 23 Bahnen) am Stahnsdorfer Damm krank machen könnte: Es besteht der Verdacht, dass das verbaute Dämmmaterial Krebs verursacht.

Kandt richtet Taskforce ein

Vor Kandts Entscheidung hatten Experten für Arbeitsmedizin und Arbeitssicherheit die Anlage intensiv untersucht. Die Experten hätten nicht „mit der notwendigen Sicherheit“ ausschließen können, dass die Schießstätte gefährlich für die Gesundheit der Beamten ist. Eine Messung der Luft habe zwar unbedenkliche Werte ergeben – allerdings sei nicht klar, welches Dämmmaterial verbaut worden sei und ob davon eine Gefahr ausgehe. Die Experten sind offenbar nicht besonders zuversichtlich: „Die vorliegenden Informationen lassen befürchten, dass es sich um krebserregendes Material handelt“, hieß es bei der Polizei. Es könne aber noch nicht abschließend bewertet werden, wie hoch das tatsächliche Gesundheitsrisiko in der Anlage sei.

GdP: "Es geht um die Gesundheit der Kollegen"

„Wir weisen seit Jahren auf die Probleme auf Berlins Schießständen hin“, ärgerte sich Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei. Entweder gibt es Probleme mit der schadstoffbelasteten Dämmung – oder die bauliche Substanz der betagten Einrichtungen gibt den Geist auf. Auch der Schießstand in der Kruppstraße musste, wie berichtet, in diesem Jahr schon zwei Mal geschlossen werden – zuletzt im März wegen einer defekten Lüftungsanlage. Fällt die Kruppstraße erneut aus, kann nur noch in Ruhleben scharf geschossen werden – auf der dortigen Anlage üben aber eigentlich nur Polizeischüler. GdP-Sprecher Jendro begrüßte die Schließung der Anlage in Wannsee dennoch: „Schließlich geht es hier um die Gesundheit der Kollegen.“ Jendro zufolge melden sich jeden Tag zwei bis drei Polizisten – aktive wie ehemalige – die auf den Schießständen erkrankt sein könnten. „Es geht um Hautreizungen, Atemwegsprobleme und Krebserkrankungen“, sagte Jendro.

Henkel fordert "pragmatische Übergangslösungen"

Die schadstoffbelasteten Schießstände waren, wie berichtet, im April mehrfach Thema im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. Mehrere erkrankte Beamte hatten sich auf eigene Rechnung auf das Gift Antimon untersuchen lassen, die Konzentration in ihren Körpern übertraf den zulässigen Grenzwert deutlich. Innensenator Frank Henkel (CDU) hatte unbürokratische Hilfe in Aussicht gestellt; 1532 besonders gefährdete Polizisten – vornehmlich Schießtrainer und Mitglieder von Spezialeinheiten – sollen nun auf Senatskosten gesundheitlich untersucht werden. Aus Jendros Sicht reicht das nicht aus: „Wir haben rund 17 000 Waffenträger in der Stadt. Die müssen eigentlich alle getestet werden.“

Polizeipräsident Klaus Kandt will den Problemen auf Berlins Schießständen mit einer Taskforce beikommen. Die Expertenkommission werde „mit Hochdruck Lösungen erarbeiten“, um einerseits eine Gesundheitgefährdung der Beamten auszuschließen und andererseits das Schießtraining der Polizei zu ermöglichen. Langfristig sollen fünf neue sogenannte „Schießleistungszentren“ entstehen, hatte Kandt im Innenausschuss angekündigt. Kurzfristig wolle man in Wannsee mit dem Betreiber über bauliche Veränderungen reden, um einen „gefährdungsfreien Betrieb zu erreichen“. Innensenator Henkel argumentierte ähnlich: Die vom Polizeipräsidenten eingesetzte Taskforce müsse „pragmatische Übergangslösungen“ finden, forderte er.

Schreiber will "harten Cut"

Vorschläge zu diesen Übergangslösungen kamen am Donnerstag sowohl aus Koalitions- wie auch aus Oppositionskreisen. Der Grünen-Innenpolitiker Benedikt Lux forderte als Notlösung „den Einsatz von mobilen Schießständen, um ein Minimum des notwendigen Schießtrainings zu gewährleisten“. Beispielsweise könnten Lastwagen entsprechend umgerüstet werden. Der SPD-Innenpolitiker Tom Schreiber forderte einen „harten Cut“ – die Schließung aller Polizeischießstände in der Stadt. „Niemand kann die Hand dafür ins Feuer legen, dass die Schießstände gesundheitlich unbedenklich sind. Eine sofortige Schließung aller Schießstände wäre die richtige Konsequenz“, sagte Schreiber. Als Übergangslösung schlug er vor, dass Berlins Polizisten ja die Schießstände der Brandenburger Kollegen oder jene der Bundespolizei mitnutzen könnten.

Bei der Bundespolizei zeigte man sich durchaus aufgeschlossen: „Wir würden prüfen, ob wir die Kollegen in diesem Fall unterstützen können“, sagte Sprecher Thorsten Peters. Man unterhalte Schießstätten in Frankfurt (Oder) und in der Schnellerstraße in Treptow, letztere könne rund um die Uhr genutzt werden. Eine entsprechende Anfrage der Landespolizei ging noch am Donnerstag ein.

Hinweis: Die Überschrift des Artikels wurde am 29. April 2016 um 11.23 Uhr geändert.

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