zum Hauptinhalt
Es läuft nach Plan. Die Fußgängerbrücke am S-Bahnhof Grünbergallee wird bis April saniert. Danach bekommt sie ihre blaue Farbe wieder – und einen Boden aus Stahl, der die alten Betonplatten ersetzt. Zuständig dafür, dass alles klappt, ist Kimia Radmard.

© Kitty Kleist-Heinrich

Porträt zum Internationalen Frauentag: Kimia Radmard: Die Brückenbauerin

Kimia Radmard ist Ingenieurin und leitet Sanierungsarbeiten bei der Bahn. Etwas Besonderes? Ja, immer noch. Ein Porträt zum Internationalen Frauentag.

Dieser Ortstermin ist heikel. Das liegt weniger an dem höllisch lauten Zischen, das aus dem planenbehangenen Baugerüst über den S-Bahnhof Grünbergallee fliegt, als am Thema: Es gebe ja gerade bei der Bahn zunehmend Frauen in sogenannten Männerberufen, hatte jemand in der Zentrale gesagt. Ob man zum Frauentag nicht mal eine solche treffen wolle: Bauingenieurin, Spezialistin für Brückensanierung. Erster Gedanke: Warum nicht? Zweiter Gedanke: Warum eigentlich? Ist es noch immer etwas so Besonderes, dass Brücken unter weiblicher Aufsicht saniert werden? Spricht irgendetwas dagegen?

Also fragt man sie selbst, als sie gerade mit ihrer geräumigen orange-blauen Arbeitsjacke unter der Plane hervorschlüpft: Kimia Radmard, 33, einzige Frau in der Mannschaft der rund 20 Bauleiter ihrer Abteilung, die für die Infrastruktur zwischen Ostsee und Lausitz verantwortlich ist. Was also spricht gegen Bauleiterinnen? „Das Wetter“, sagt sie. „Und das Schichtsystem.“ Das Wetterproblem erlebt sie nach eigener Auskunft regelmäßig in Gestalt bibbernder Projektleiterinnen, die nur sporadisch ihr Büro für Baustellenbesuche verlassen – und froh sind, wenn sie wieder rein dürfen. Es ist die alte, schicksalhafte Geschichte der frierenden Frauen.

Auf der Baustelle ist sie auch Therapeutin

Während ein Mehrschichtsystem bekleidungstechnisch optimal ist, wird es bei den Arbeitszeiten unkomfortabel: „In der Betra bin ich immer da“, sagt Radmard. Die Betra ist eine betriebliche Anordnung, im Fall der S-Bahn etwa die Wochenendsperrung von Freitag 22 Uhr bis Montag 1.30 Uhr. Ein Gesetz im Bahnkonzern, das tunlichst einzuhalten ist: Wenn Montagfrüh eine Baustelle nicht fertig ist, haben nicht nur die Fahrgäste ein Problem, sondern auch die Bauverantwortlichen. Deshalb kann eine Betra zwei Wochenenddienste à zehn Stunden bedeuten, womöglich nachts oder beim Fernbahnnetz mit Übernachtung in Rostock oder Wittenberge. Das geht nur ohne Kind oder mit flexiblem Partner.

Sie habe so einen, sagt Kimia Radmard, die ein paar Schritte von der zischenden Höllenmaschine weggegangen ist zum Baucontainer. Unter den Planen sandstrahlen ihre Bauleute die stählerne Fußgängerbrücke, die den S-Bahnhof überspannt. Die gelben Fässer mit dem neuen Korrosionsschutz stehen gestapelt im geheizten Baucontainer, in dem außerdem Platz für drei Stühle, einen Tisch und einen Kühlschrank ist.

„Die sind schüchtern“, sagt Radmard lachend, als sie die draußen herumschleichenden Kollegen bemerkt, allesamt älter als sie. Sie wollen jetzt Feierabend machen, trauen sich aber nicht zu ihr in den Container. „Tschüss, Kimi“, rufen sie, als sie dann doch ihre Taschen holen. Einer sagt, er müsse noch zum Optiker: „Hier, meine Brille, da fehlt eine Schraube.“ Oh, ja, sagt Radmard. Als er raus ist, muss sie lachen: „Das war typisch. Ich hab gesagt: ,Zeig mal!‘ Und morgen werde ich ihn fragen, ob die Brille wieder ganz ist.“ Als Frau auf der Baustelle sei sie auch Therapeutin. „Zwischen Männern ist es eher so: Läuft? – Läuft!“ Ihr aber erzählten Kollegen ungefragt, wie kalt es war und welchen Widrigkeiten sie trotzen mussten. „Die denken wohl, dass ich ein weicheres Herz habe“, sagt sie. „Hab ich ja auch.“

23 Prozent Frauen beschäftigt

Eine Frau auf der Baustelle, das ist immer noch ungewöhnlich. Konzernweit beschäftigt die Bahn in Deutschland rund 23 Prozent Frauen, die DB-Tochter S-Bahn Berlin bringt es auf 22 Prozent. Von den rund 1000 Fahrern sind schon knapp 80 Frauen, bei den reinen Handwerksberufen liegt die Quote erst bei sechs Prozent. „Hier draußen wird mehr gelacht als im Büro“, resümiert Radmard, die beides kennt und sich aus dem Studium an zähe Praktikumstage in einem Architekturbüro und wie im Flug vergangene auf Baustellen erinnert.

Bei der Bahn habe sie sich auch deshalb beworben, weil sie sich mit ihrem Namen in einem Konzern größere Chancen auf ein Vorstellungsgespräch ausrechnete. Als Kleinkind kam sie aus Teheran nach Deutschland; ihr Migrationshintergrund ist also ein eher formaler. Im Alltag spiele er ohnehin keine Rolle, zumal sie auch zu Schnitzel und Feierabendbier nicht Nein sagt. Radmard nennt sich „neue Deutsche“ – im Unterschied zu „Biodeutschen“.

Sie freut sich, dass demnächst eine weitere neue Deutsche in den Ingenieurspool kommt, mit dem DB Regio die Absolventen einarbeitet und im Konzern vernetzt, in dem so viele Rädchen voneinander abhängen. Man habe ihr erzählt, die künftige Kollegin – türkischer Abstammung – sei auch deshalb genommen worden, „weil wir mit dir so gute Erfahrungen gemacht haben“, sagt Radmard. Sie nimmt das als Kompliment, auch wenn es ein schräges ist. Weil ja irgendwie ein Erstaunen darüber mitschwingt, dass sie als Frau sogar Brücken bauen kann, noch dazu als iranischstämmige. „Und jung bin ich auch noch“, sagt sie und lacht. Aber sie ist sich sicher, dass sich die Wahrnehmung ändern wird; in ihrem Studiengang habe die Frauenquote bei rund 40 Prozent gelegen.

Den Moment, in dem sie bei den Bauleuten akzeptiert ist, erkennt Kimia Radmard nach gut drei Jahren Praxis ziemlich sicher: Wenn auch in ihrer Gegenwart ganz unbefangen Herrenwitze gerissen werden, hat sie es geschafft.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung (Hiroshimastr. 17, Haus 1) zeigt vom 8. bis zum 17. März die Fotoausstellung „Das weibliche Gesicht der Arbeit“: Mo–Fr, 8–20 Uhr.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false