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Politischer Christopher Street Day in Berlin.

© picture alliance / Jörg Carstens

Bundestagswahl: Die Grünen sind die Volkspartei der Queers

Lesben, Schwule und Trans- und Bisexuelle stimmen vor allem für Parteien links der Mitte. Eine Studie hat ihre Wahlvorlieben untersucht.

Unter Schwulen, Lesben und Trans- und Bisexuellen sind die Grünen Volkspartei. 29 Prozent von ihnen wollen am kommenden Sonntag grün wählen. Das hat eine Studie der Universitäten Gießen und Wien zum Wahlverhalten der LGBTIQ-Gemeinde zutage gefördert, die am Montag in Berlin vorgestellt wurde.

Sie bestätigt einen bekannten Trend: Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Intersexuelle und Queers bevorzugen Parteien links der Mitte. Auf die Grünen folgen die Linke mit 22 und die SPD mit 21,2 Prozent – womit die Neigung zur Sozialdemokratie auf dem Niveau der Gesamtwahlbevölkerung liegt. Gleiches gilt für die LGBTIQ auf Seiten der Liberalen. Die FDP würden 9,5 Prozent wählen. Ganz anders die Parteien, die es insgesamt laut aktuellem Politbarometer auf 36 beziehungsweise zehn Prozent bringen: Die Union kommt in der Befragung nur auf 6,9 Prozent der Stimmen, die AfD auf 2,7.

Fast zwei Drittel wählten schon 2013 CDU und CSU

Dabei lässt sich für die Unionsparteien CDU und CSU eine interessante Entwicklung beobachten: Sie ziehen Stimmen aus dem Pool der traditionell queerfreundlichen Konkurrenz ab, von Grünen, SPD und FDP. Lediglich 63 Prozent derer, die jetzt angaben, diesmal christdemokratisch zu wählen, taten dies schon vor vier Jahren. Damit ist die Stammwählerinnenschaft der Union allerdings größer als die aller anderen Parteien – selbst der Grünen: 61,7 Prozent von deren aktuellen Anhängerinnen wählten schon 2013 grün, noch weniger waren es für die SPD (58,6 Prozent), die Linke (41,1) und die FDP (35,1).

Enttäuschte Unions-Queers wollen diesmal aber auch stärker ins Lager der Nichtwählerinnen abwandern: Sie schlagen dort mit 15 Prozent zu Buche, während Ex-Grüne und Ex-SPD-Wähler zehn und fünf Prozent der LGBTIQ stellen, die nicht wählen wollen. Die Forschungsgruppe um die Gießener Politikwissenschaftlerin Dorothée de Nève erklärt die Parteibindung mit Geschlechter-Programmen wie konkreter Politik der Parteien. Da böten Grüne und Linke am meisten Ausformuliertes.

Auch wenn sich in der Union in den letzten Jahren etwas getan hat: Schon länger hat die Arbeitsgemeinschaft der „Lesben und Schwulen in der Union“ (LSU) ihren festen Platz auf CDU-Parteitagen, die Kanzlerin und Parteivorsitzende lässt sich immer wieder an deren Stand blicken, es gibt offen schwule prominente CDU-Politiker. Vor Wochen gab Merkel überraschend die Abstimmung über die Ehe für alle als Gewissensentscheidung frei – sie selbst stimmte freilich dagegen. Und im Wahlprogramm der Unionsschwestern heißt es: „Wir schreiben Familien kein bestimmtes Familienmodell vor. Wir respektieren die unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens.“

Bleibt die Union noch schmallippig darüber, was Nichtdiskriminierung konkret bedeuten soll, ist im Programm der bei LGBTIQ unbeliebtesten Partei, der AfD, dagegen völlig klar, dass es ihr ums Gegenteil geht, schon in den Kapitelüberschriften: „Für ein klares Familienbild – Gender-Ideologie ist verfassungsfeindlich“ oder „Kinder brauchen beide Eltern – Alleinerziehen ist nicht der Normalfall“. Trotz einer lesbisch lebenden Mutter als Spitzenkandidatin verkündet die AfD, sie stehe für das „bewährte Leitbild der Ehe und traditionellen Familie mit Kindern“.

Stark interessiert an Politik

Dass sexuellen Minderheiten derartige Aussagen nicht gleichgültig sind, belegt die Studie der Wiener und Gießener Forscherinnen, die dazu mit dem Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) zusammenarbeiteten, ebenfalls: Diskriminierung und Homo-Hass stehen mit rund 95 Prozent an der Spitze der Themen von hohem Rang.

Noch wichtiger sind sie für die, die SPD, Linke und Grüne wählen. Es gebe dabei aber nicht „das eine wahlentscheidende Thema“, sagt Michael Hunklinger von der Uni Wien. Dass Menschen wie sie selbst Politik machen, ist ihnen weniger wichtig, als dass die Politik sich für ihre Anliegen engagiert. Die Befragten waren überdurchschnittlich politisch interessiert, mehr als die Hälfte engagieren sich in Politik, Gesellschaft und Verbänden.

An der LGBTIQ-Wahlstudie beteiligten sich vom 15. Juli bis 15. August 3171 Schwule und 1162 Lesben. 747 gaben an, bisexuell zu sein, 218 pansexuell, 49 bezeichneten sich als queer. Von den knapp 6000 Personen, die den Fragebogen des Forscherteams vollständig ausfüllten, wurden die jener 5329 ausgewertet, weil sie sowohl wahlberechtigt waren als auch angaben, nicht (ausschließlich) heterosexuell zu sein. Die Politikwissenschaftlerinnen aus Gießen und Wien sehen ihre erste bundesweite LGBTIQ-Befragung zu einer Bundestagswahl als Pionierarbeit an, benennen aber auch deren Probleme. Seriöse Aussagen für das Wahlverhalten der LGBTIQ-Gemeinde wären nur mit genauen Daten über deren Größe möglich.

"Parteien und Wahlforschung sollten sich um LGBTI kümmern"

Die aber fehlen bisher – ein Problem, das kürzlich auch ein Team des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW beklagte, das erstmals die Lebensbedingungen von Schwulen, Lesben und Bisexuellen untersuchte. Dorothée de Nève geht allerdings von etwa vier bis sechs Millionen Menschen aus. Sie rät den Parteien daher dringend, sich intensiver mit ihrer LGBTIQ-Klientel zu befassen – zumal die sich durch eine überdurchschnittliche Treue zu den Parteien ihrer Wahl auszeichnet, „was gerade in Gegenden, wo für einzelne Parteien jede Stimme zählt, noch viel zu wenig wahrgenommen wird“.

Das gelte im Osten etwa für die Grünen, im Westen für die Linke. Sie wünscht sich weitere Forschung – und Geld dafür. Ihr Team hofft noch auf weitere Crowdfunding-Beiträge. Wer in der Wahlforschung inhaltlich wie methodisch Neues mache, sagt de Nève, werde immer noch „erst einmal weggebissen“. Erfahrungen, die sie früher mit Studien über Menschen gemacht habe, die nicht wählen, wiederhole sich hier. Auch weil da zwei nicht leicht zusammenpassten: "Die Queer Studies lösen klare Kategorien auf, die Wahlforschung liebt sie aber: Einkommen, Bildung, Geschlecht, und davon nur zwei."

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