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Schule: 560 Pferde und elf Rinder

Der Bentley Continental ist ein Auto mit eingebautem James – zum Preis einer Doppelhaushälfte

James, würden Sie mir zum Einsteigen bitte das Lenkrad ein wenig hochschwenken? Danke. Den Kofferraumdeckel und die Tür bitte lautlos schließen. Meinen Sitz wie immer. Ach nein, blasen Sie doch bitte die Lehne heute etwas stärker auf, ich hab’s im Kreuz. Danke, James. Oh, riecht das wieder gut hier. Wunderbar, diese skandinavischen Rinder.

Jetzt, wenn es ringsherum weihnachtet und es auch mal ein bisschen mehr sein darf, ist der richtige Zeitpunkt zum Bentleyfahren. Gut, der gelbe Aufkleber neben dem Tacho, dass die Winterreifen nur für Tempo 270 statt der möglichen 315 km/h zugelassen sind, stört ein wenig, aber so sind nun mal die Vorschriften. Außerdem: Ist dieses Auto mit eingebautem James zum Preis – oder besser: zur Investitionssumme – von mindestens 175 000 Euro überhaupt zum Fahren da? Alte Bentley-Freunde würden bei dieser Frage wohl aus dem Sitz hochschnellen, dass das Leder knirscht. Schließlich war Bentley bis zur Übernahme durch VW 1998 quasi die Sportversion von Rolls- Royce – weniger Barock, dafür mehr Dampf im Kessel. „Angemessen plus 50 Prozent“, lautet die Faustregel zur Motorisierung. Bei diesem hier, dem seit 2003 als Coupé, danach als Limousine und jetzt als Cabriolet gebauten Bentley Continental, heißt das in Zahlen: 560 PS. Eine der größten Pferdeherden überhaupt.

Lassen wir sie noch ein wenig ruhen und widmen uns den Rindern. Es waren elf, die ihre Haut für diesen Salon gelassen haben. Und sie stammten aus Schweden, weil die Insekten dort nicht so böse sind und die Weite der Weide den Rindern genug Distanz zum Stacheldrahtzaun ließ, an dem sie sich anderswo vielleicht gekratzt hätten, was wiederum Narben in Sitz oder Armaturentafel oder Dachhimmel nach sich zöge. Das wäre genauso ärgerlich wie ein Astloch im Holz. In diesem Fall ist Walnuss von dunklem, marmoriertem Braun. Es hätte genauso gut Eiche sein können oder Vogelaugenahorn oder Olive oder – ganz neu – Kastanie. Weil Holz heutzutage als hauchdünnes Furnier auf Aluminiumträger geklebt wird, heißt Holz nicht mehr Brett, sondern geschwungene Eleganz rund um Türgriffe und Anzeigen. Wurzelhölzer gelten als die am schönsten gemaserten, und damit eines Tages nicht der Wald vor lauter Bentleys siecht, wird für jeden gefällten Baum ein neuer gepflanzt.

Es gibt einen Schlüssel, aber weil das Auto ohnehin merkt, wenn man da ist, darf man das aus – räusper! – Blech und einem Plastikring bestehende Zündschloss ignorieren und kann einfach aus den Doppelfenstern heraus in die silber umrandeten Rückspiegelgläser schauen, in denen die Gesäßmuskulatur des Coupés mehr Fläche einnimmt als die Welt dahinter. Im Tacho leuchtet eine Skala auf, die bis 340 reicht. Und ein Druck auf den Startknopf lässt den Ernst dieser Zahl ahnen. Es muss etwas ganz Großes sein, das da mit einem Brausen erwacht, welches sich schnell zu dezentem Bereitschaftsrauschen legt – der Ruhepuls eines Drachen. Daran ändert sich bei gemütlicher Fahrt erstaunlich wenig. Dass ein Auto zum Preis einer Doppelhaushälfte ausgezeichnet federt und lenkt und dank Bremsscheiben so groß wie Familienpizza auch schnell wieder steht, war zu erwarten. Aber dass ein Zweieinhalbtonner starten kann wie eine Silvesterrakete, erfordert einen Selbstversuch. Von null auf 100 in fünf Sekunden. Der Akt verläuft quietschfrei, aber das Geräusch ist durchaus pyrotechnisch. Wobei nicht der Motor – ein von zwei Turboladern beatmeter Zwölfzylinder aus Phaeton und Audi A8 – den akustischen Sturm entfacht, sondern das Fauchen der Auspuffanlage.

Wenn der bewegliche Heckspoiler im Innenspiegel auftaucht, ist die durchschnittliche deutsche Autobahnreiseflughöhe erreicht. Der Bentley ist nicht bis zur Grabesruhe gedämmt worden. Er rollt und rauscht gerade so, dass man weiß, er lebt. Und wenn man den Automatik-Modus von „Drive“ auf „Sport“ umschaltet, dann kommt beim Gaswegnehmen dieses böllernde Hüsteln hinzu, das wahre Sportwagen auszeichnet. Weil bei knapp 2000 Umdrehungen eine weitere akustische Turbine gezündet wird, reist es sich so am schönsten: Vroam! – Böller! – Vrrooamm! – Böller! Und so weiter.

Diese Fahrweise ist aber dem für die Ewigkeit geformten Auto nicht angemessen, der elf Rinder unwürdig, und vor James möchte man sich auch nicht lächerlich machen. Was also tun? Der Bordcomputer meldet einen Durchschnittsverbrauch von 18 Litern. Vorhin beim Spurt auf Tempo 220 waren es sogar 97 Liter, bis die Anzeige vor dem dreistelligen Wert kapitulierte. Das ist so unverschämt viel, dass man den Bentley besser nur selten fährt. Man kann ihn ja täglich benutzen, indem man sich einfach bei offenem Garagentor reinsetzt und ihm ein wenig beim Leben zuhört und dabei die Hände über die schmeichelnden Oberflächen gleiten lässt. Schon fünf Minuten Leerlauf helfen gegen alle Sorgen. Die Leute bei Bentley wissen auch, dass ihre Autos ökologisch nicht korrekt sind. Aber es werde weder einen Hybrid noch einen Diesel geben, sagen sie. Und: „Mehr als die aktuell 9000 Autos pro Jahr wollen wir nicht bauen, auch Rabatt gewähren wir grundsätzlich nicht.“ So leisten auch sie einen Beitrag zum Umweltschutz. Zum Fahren braucht ohnehin kein Mensch einen Bentley. Aber einen in der Garage zu haben, wäre schon schön.

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