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© promo

Festival in Cannes: Der Krieg ist leise, das Töten geht schnell

Gerade war er noch ein normaler Junge, doch seit fünf Tagen wird gekämpft: Der eindringliche Film "Ordinary People" des serbischen Regisseurs Vladimir Perisic zeigt einen Tag im Leben eines jungen Soldaten.

Ein Bus voller Leute. Wer sind sie? Soldaten. Eine Sommerwiese. Hier könnte man gut picknicken. Oder hinrichten. Wodka. Zum Feiern? Nein, zum Vergessen. Ein großer Junge mit schmalen Schultern. Er ist so still, so nachdenklich. Hat er Liebeskummer, Probleme in der Schule? Nein, er hat getötet.

In „Ordinary  People“, dem ersten Langfilm des serbischen Regisseurs Vladimir Perisic, erlebt der Zuschauer einen Tag im Leben eines Soldaten. Für den Neuling Dzoni ist es das erste Mal, der schlimmste Tag, der alles verändern wird. Vorher war er ein ganz normaler Junge, doch seit fünf Tagen wird gekämpft. Der junge Serbe lernt zu töten, der Zuschauer muss damit zurechtkommen, eine Gratwanderung von Normalität zu routinierter Perversion und Inhumanität mitzuerleben. Krieg wird hier ganz anders abgebildet, als man es gewohnt ist: Keine Schlachtfelder, keine Truppen, sondern ein stillgelegter Bauernhof an einem drückenden Sommertag ist Schauplatz für die Gruppenhinrichtungen.

So ist Krieg wirklich, denkt der Zuschauer, der Krieg ist leise, das Töten geht schnell. Zwischendurch rauchen die Soldaten, Dzoni sogar mit einem der Opfer zusammen. Die Gründe des Tötens bleiben offen, Politik ist nach Perisic auch nicht Thema seines Films. Dzoni ist zufällig hier gelandet, er trägt Waffe und Uniform. Die Männer, die aus den LKWs geschubst werden, tragen Jeans und T-Shirts, sie sind alt und jung, sie sind angeblich Terroristen. In Wirklichkeit sind sie jedoch alle gewöhnliche Männer, ihre Rollen in den Hinrichtungen sind austauschbar.

Perisic verzichtet auf Musik und Nahaufnahmen, die Darstellung ist simpel, so wie die Aufgabe der Soldaten. Die Kamera bleibt von ihren Subjekten distanziert, viele Szenen sind in Echtzeit, der Zuschauer erlebt sie mit, als stünde er dabei, seien es die langen Wartezeiten oder die schnellen Tötungen. Besonders eindringlich sind die schockierenden Kontraste zwischen banaler Normalität und inhumaner Gewalt. Die Gefühle und Gedanken der Figuren werden nicht dramatisiert oder gedeutet, sondern müssen bei diesem Film in besonderem Maße vom Bewusstsein des Zuschauers ergänzt werden.

So wird der Film zu einem persönlichen Erlebnis, das den Betrachter zwar verunsichert, ihn aber lehrt, sich selbst und die Abgründe des Menschen besser zu verstehen.  Auch eine Erklärung der Motive sowie das Urteil über die Schuld bleiben dem Zuschauer überlassen, den „Ordinary People“  noch lange beschäftigen wird.

"Ordinary People", Serbien/Frankreich/Schweiz 2009, 80 Minuten, auf Serbisch. Regie: Vladimir Perisic, Drehbuch: Vladimir Perisic & Alice Winocourm, Kamera: Simon Beaufils, Ton: Frédéric Heinrich, Schnitt: Martial Salomon, Ausstattung: Diana Radosavljevic. Besetzung: Relja Popovic, Boris Isakovic, Miroslav Stevanovic.

Link: www.semainedelacritique.com

Nora Heidorn

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