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Film: Das Leben der anderen

Wie ein Film mit Schülern aus Wedding und Prenzlauer Berg eine alte und neue Grenze überwindet

Als Leon und Robert vor ein paar Monaten durch den Gleimtunnel laufen, gehen sie auf diesem Wege zum ersten Mal rüber in den Westen, nach Wedding. Die beiden Jungs wohnen auf der Ostseite des Tunnels, in Prenzlauer Berg. Der Tunnel verbindet beide Stadtteile miteinander, er könnte ein soziales und kulturelles Bindeglied zwischen ihnen sein. Aber das Gegenteil ist der Fall, er trennt die Kieze so stark voneinander, als stünde dort immer noch eine Mauer. In Prenzlauer Berg lebt das besser betuchte – deutschstämmige – Bürgertum, in Wedding eine multiethnische Gesellschaft: Türken, Araber, Libanesen. Beide Seiten kommen sich trotz der örtlichen Nähe nicht nahe, jeder bleibt da, wo er ist. Auch die Kinder.

Für Leon und Robert, die in die freie Grundschule Pfefferberg in der Schönfließer Straße gehen, ändert sich das gerade. Die Jungs haben eine Kamera in der Hand. Gleich werden sie Onur und Ayse aus der Heinrich-Seidel-Grundschule in der Ramlerstraße in Wedding treffen. Und dann werden die Zwölfjährigen gemeinsam einen kleinen Film drehen und am Ende sagen: Gut, dass wir uns getroffen haben, jetzt sind wir befreundet. Ohne den Film wäre das nie passiert.

Genau das hatte der Regisseur Torsten Löhn beabsichtigt, als er sich das Schulfilmprojekt „Am Gleimtunnel – hier und drüben“ ausdachte. Als er vor einiger Zeit selbst in die Gleimstraße zog, beobachtete er, dass die Kinder keine Chance haben sich kennenzulernen, weil sie sich erst gar nicht begegnen. Mit der Aktion, bei dem die Kinder als Regisseure, Kameraleute und Tontechniker arbeiten, durchbrach er diese Paradoxie. Er führte die Mädchen und Jungen aus beiden Kiezen und zwei fremden Welten zusammen. 19 Kinder aus beiden Schulen machten bis zum Schluss mit, acht Kurzfilme sind entstanden. Die Dreharbeiten der Kinder wurden mit einer zweiten Kamera festgehalten. Diese Dokumentation wurde zwischen die einzelnen Filme zu einem sogenannten Omnibusfilm zusammengeschnitten und zeigt, wie die Kinder miteinander umgehen und sich Unbekanntem öffnen. „Ich wollte, dass sie sich auch fragen, wie viel Eigenes im Fremden steckt“, sagt Löhn.

Rund 90 Prozent der 650 Schüler aus der Heinrich-Seidel-Grundschule haben einen Migrationshintergrund, in der freien Grundschule hat den niemand der 68 Kinder. Auf den ersten Blick trennt die Schüler zunächst fast alles, was ihren Alltag ausmacht. Und so unterschiedlich sind auch ihre selbst gewählten Filmsujets: das Porträt eines Dönerproduzenten, einer Arbeiterin bei Siemens, eines früheren „Sandmännchen“-Regisseurs, eines Ex-Profi-Boxers. Wie kamen die Kinder ausgerechnet auf diese Personen? Torsten Löhn: „Sie sollten einen Bezug zu ihrem eigenen Leben haben.“ Die Siemens-Arbeiterin zum Beispiel ist eine Verwandte eines Jungen. Seit 26 Jahren arbeitet sie in drei Schichten in dem Werk. Um sie zu filmen, mussten die Kinder nachts um 2.30 Uhr aufstehen. Für das Porträt des Boxers fuhr das Filmteam zu einem Wettkampf nach Hamburg.

Ein schwieriger Job für Torsten Löhn, aber vor allem für die Kinder und ihre Mütter und Väter. „Die Eltern waren sehr tolerant, haben alles mitgemacht und das Projekt unterstützt“, sagt Löhn. Für die Schulen sind die Dreharbeiten eine komplett neue Erfahrung. „Durch den Film haben die Kinder Berührungsängste abgebaut“, sagt Cornelia Flader, Rektorin der Heinrich-Seidel- Schule. „Die Schüler mussten sich in ungeahnten Situationen bewähren und sich vielfältig reflektieren“, sagt Gabriele Tiedemann, Leiterin der freien Grundschule Pfefferberg.

Bevor die Mädchen und Jungen mit Kamera und Mikro loszogen, lernten sie mit den technischen Geräten umzugehen und ein Drehbuch zu schreiben. Sie entwarfen auch ein Filmplakat und machten sogar die Musik selbst. Dabei stellten sie fest, dass sie weitaus mehr verbindet, als sie anfänglich glaubten. Wir hören die gleiche Musik und haben die gleichen Handys, sagen die Jungs. Unsere Klamotten und Spiele sind ähnlich, sagen die Mädchen. Und schon beim zweiten Treffen tauschten die Mädchen Handynummern und E-Mail-Adressen aus. Und der Gleimtunnel ist für keinen der jungen Filmemacher mehr eine Grenze, sondern ein ganz normaler Weg, um das Leben der anderen kennenzulernen. Simone Schmollack

Filmpremiere: 10. Juli, 21.30 Uhr, auf dem Gleimtunnel, Schwedter Str. 90 (Jugendfarm Moritzhof), Eintritt: Erwachsene 2,50 Euro, Kinder kostenlos. Bei Regen: Heinrich-Seidel-Schule, Ramlerstr. 9-10.

Simone Schmollack

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