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Gastbeitrag: Auch Schule lernt dazu

Liebe Eltern, machen Sie bitte nicht immer Ihre eigene Bildungserfahrung zum Maßstab! Freuen Sie sich stattdessen, wenn Ihr Kind alltagsnah lernt - auch wenn Sie in Ihrer Schulzeit vielleicht andere Methoden kennen gelernt haben.

Saph, Jül, ISS: Diese drei Abkürzungen stehen für große Veränderungen an den Berliner Schulen – für die Schulanfangsphase, das jahrgangsübergreifende Lernen und die Strukturreform, die aus Haupt- und Realschulen die Sekundarschulen gemacht hat. Man muss gar nicht die Meinung teilen, dass es zu viele Reformen gegeben hat, um festzustellen: Die Veränderungen verunsichern – vor allem Eltern.

Schauen Eltern in die Schulen ihrer Kinder, entdecken sie noch vieles von dem, was sie selbst in der Schule erlebt haben: 45-Minuten-Takt, Fächergliederung, Klassenarbeiten, altbekannte Medien und Methoden – nicht zuletzt sind auch viele Lehrer dieselben geblieben. Das verführt Eltern dazu, auf der Basis ihrer Erinnerungen Maßnahmen zu fordern, die schon ihnen vor Jahrzehnten nicht geschadet haben. So wird das Leistungsvermögen zweier Lerngruppen anhand der im Lehrbuch bearbeiteten Seitenanzahlen verglichen – und nach höherem Tempo und mehr Hausaufgaben gerufen. Schnell wird gefordert, alle Neuerungen am besten gleich abzuschaffen.

Der entscheidende Punkt ist die Perspektive. Eltern sind Spezialisten für den Alltag im Privaten und Beruf – sie sollten aus dieser Perspektive auf die Schule schauen! Betrachtet man die Veränderungen in diesen Lebensbereichen, so ist die Liste viel länger als die der Wandlungen an den Schulen. Vor allem die Methoden der Kommunikation haben sich verändert – so rasant, dass jemand, der aus einem mehrjährigen Koma aufwachte, vor großen Problemen stünde. Müssten sich die Schulen und vor allem die Methoden also nicht viel schneller anpassen? Müssen wir nicht die Flexibilität und Lernfähigkeit unserer Kinder nutzen, um sie gerade im Schulalter mehr ausprobieren, begreifen und erfahren zu lassen?

Liebe Eltern, bleiben wir bei Ihrem Alltag: Passen Sie auf, dass Sie nur mit Menschen gleichen Alters zusammenleben oder -arbeiten? Fragen Sie Verwandte und Bekannte nach der Schullaufbahn oder dem Intelligenzquotienten – und bleiben nur mit denen in Kontakt, die Ihren Bildungsabschluss haben? Sind Sie sicher, dass an Ihrem Arbeitsplatz alle den gleichen Schulzweig durchlaufen haben? Passen Sie Ihr Freizeitverhalten oder Ihre Arbeitsprozesse an einen ähnlich kurzen Zeittakt wie den 45-minütigen an?

Die Vermutung liegt nahe, dass Sie die Mehrzahl der Fragen mit Nein beantworten. Also unterstützen Sie doch bitte Lehrer, die ihren Unterricht den Bedürfnissen des privaten und beruflichen Alltags anpassen – und nicht Ihren Erinnerungen an die Schule. Freuen Sie sich, wenn Ihr Kind nach Hause kommt und Ihnen berichtet, dass es mit Kindern unterschiedlichen Alters die Möglichkeit erforscht hat, in der Schule Energie zu sparen – und seien Sie nicht verunsichert, weil Sie nicht wissen, ob das Fach nun Mathematik, Physik, Wirtschaft-Arbeit-Technik oder Sachunterricht heißt und welchen Schulabschluss die Mitschüler einmal machen werden. Unterstützen Sie es, wenn Ihr Kind zum dritten Mal im Monat nicht im Klassenzimmer forscht, sondern mit einer Lerngruppe außerhalb des Schulgeländes recherchiert!

Machen Sie bitte nicht den Fehler und fragen, wann denn mal wieder richtig unterrichtet wird und denken dabei an ihren Unterricht von damals! Danke!

Der Autor ist Seminarleiter in der Lehrerausbildung. Zuvor war er viele Jahre lang Leiter der Paul-Löbe-Hauptschule in Reinickendorf. 2006 war Helmut Hochschild Interims-Schulleiter der Rütli-Schule in Neukölln.

Helmut Hochschild

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