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Niklas und seine Mutter schauen sich das Album mit den Ferienbildern an.

© Katharina Ludwig

Gastfamilien-Programm für Berliner Kinder: Urlaub bei der Zweitfamilie

Tausend Berliner Kinder und Jugendliche fahren in den Ferien wieder zu Gastfamilien in die Niederlande und in die Schweiz. Das Programm für Familien mit geringem Einkommen gibt es schon seit mehr als 50 Jahren. Oft entstehen echte Freundschaften.

Auf Niklas’ Lieblingsfoto steht er in der Badehose an einem Strand nahe dem niederländischen Numansdorp – neben ihm seine Gastschwester Daphne und neben ihr sein Gastbruder Jervis. „Schauen Sie mal, wie lang mein Arm ist“, sagt Niklas über das Fotoalbum gebeugt und zeigt auf eine Hand an der Schulter von Jervis. Weil die Gastschwester geschickt steht und mithilft, wirkt es, als würde er, der Kleinste von ihnen, die anderen beiden auf einmal umarmen.

Reiseangebote für Jugendliche in den Sommerferien sind häufig teuer. Eine Sprachreise nach England, ein Segelcamp auf einer Ostseeinsel – das ist für viele Berliner, die alleinerziehend sind, die wenig verdienen oder Sozialleistungen beziehen, kaum leistbar. 1000 Berliner Kinder und Jugendliche sind deshalb diesen Sommer wieder mit dem Gastfamilienprogramm im Auftrag des Berliner Senats unterwegs. Die ersten von ihnen sind Sonntagnacht mit zweistöckigen Bussen vom Zentralen Omnibusbahnhof in Berlin in den Urlaub gestartet.

Bei ihrer ersten Reise sind die Jungen und Mädchen zwischen sechs und zehn Jahre alt. Für drei Wochen leben sie bei Familien in der Schweiz und in den Niederlanden. Das Programm existiert seit über 50 Jahren, 230 000 Kinder haben insgesamt schon daran teilgenommen. Auch Berliner Kinder, die in Wohngruppen oder Heimen wohnen, fahren mit diesen Reisen in Urlaub. Zwei Drittel der Teilnehmer fahren auf Wiedereinladung der Gasteltern über mehrere Jahre immer wieder zu denselben Familien. So auch der 14-jährige Niklas aus Neukölln. Er fährt dieses Jahr zum siebenten Mal mit.

In Numansdorp gestalten die Gasteltern einen richtigen Ferienkalender voll mit Aktivitäten, erzählt Niklas: Ausflüge zum Strand, Campen, Besuche bei einem Bauernhof. Einmal pro Reise treffen sich alle Gastfamilien und -kinder zu einem gemeinsamen Fest in Rotterdam. Und dann hat ja Jervis, sein Gastbruder, auch noch immer Geburtstag, wenn Niklas kommt. Im Haus ist immer viel los: Neben ihm, den beiden Gastgeschwistern und zwei weiteren Jugendlichen aus Berlin, die in seiner Gastfamilie untergebracht sind, gibt es noch zwei Hunde und jetzt auch zwei Meerschweinchen. Es hänge natürlich sehr von der jeweiligen Gastfamilie ab, er jedenfalls fühle sich in den Niederlanden immer sehr wohl, sagt Niklas. Zum Gastfamilienleben gehören auch nervige Regeln, wann man schlafen gehen muss oder wann man essen und trinken darf. Mit dem Gastbruder, mit dem er am meisten herumhängt, streitet er auch regelmäßig. „Wie die Familie, die ich nie hatte“, sagt Niklas ein bisschen melodramatisch und lacht. Vom Fenster seines Berliner Zimmers kann man nicht nur Bäume und einen Spielplatz sehen, sondern auch den Balkon seiner Großmutter.

Für seine Mutter ist wichtig, dass ihr Sohn ein neues Land und eine andere Sprache kennenlernen kann. Niklas spricht mittlerweile Niederländisch, sein Gastbruder und er schicken sich auf Niederländisch Kurznachrichten, etwa während der WM. Für die Mutter selbst bedeuten die drei Wochen auch mal eine Pause, auch wenn sie weiter arbeitet. Wenn Niklas zurückkommt, haben sie noch zwei Wochen gemeinsam Urlaub. Die 45-Jährige arbeitet als Sachbearbeiterin. Von ihrem Gehalt als Alleinerziehende Urlaub zu bezahlen, ist nur in Ausnahmen möglich.

2008, als Niklas das erste Mal zu seinen Gasteltern fuhr, wäre es gar nicht gegangen. Damals war sie arbeitslos. Sie erinnert sich noch an die Kiste voll mit Gebasteltem, mit der Niklas von der Reise zurückkam: Dinge aus Speckstein, unzählige Bilder. „Als hätten sie nur gebastelt“, sagt sie. Sie ist selbst schon 1972 als Dreijährige das erste Mal mit einem Reiseprogramm der Stadt „verschickt“ worden. So sagte man damals. Sie fand es damals gar nicht lustig, alleine zu verreisen. Man wohnte aber auch nicht in Familien, sondern in Jugend- und Freizeitunterkünften, zum Beispiel am Bodensee. Später, als sie älter war, hätten ihr die Reisen gefallen.

Heimweh hatte er eigentlich auch bei seiner ersten Reise nicht, meint Niklas. Er hätte sicher gewusst, dass er wieder nach Hause zurückkommt. Schlimmer sei der Abschied von der Gastfamilie gewesen, denn er dachte, er würde sie nie wiedersehen.

Erst im Frühling des Folgejahres erfahren die Kinder, ob ihre Gastfamilien sie im Sommer wieder einladen. Das Alterslimit sei 16 Jahre. Aber es könne einem ja niemand verbieten, trotzdem hinzufahren, meint der Junge. Und seine Mutter sagt vorsichtig: Nein, aber den Bus und alles andere müsse man dann selbst bezahlen.

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