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Schule: Gespitzte Ohren und offene Augen

Zwei Schulklassen proben mit den Philharmonikern – auch Gehörlose

48 Ohren hören genau hin. Im Musiksaal der Lenau-Grundschule in Kreuzberg spielt Fraser Trainer eine CD mit den Stücken „Bilder einer Ausstellung“ des Komponisten Modest Mussorgski vor. Danach will der Musikpädagoge von den Fünftklässlern wissen, welche Bilder in ihrem Kopf entstanden sind. Sie zählen auf: Eine Burg, ein Krieg, ein Königreich. Umut hat noch eine Idee: „Das hört sich an, als wenn man ein Superheld wäre!“

Es ist die vierte Begegnung zwischen den Schülern und dem freiberuflichen Musikpädagogen. Die Workshops sind Teil der Education Projekte der Philharmonie, die Chefdirigent Sir Simon Rattle vor fünf Jahren ins Leben gerufen hat. Pro Spielzeit werden etwa 15 Projekte realisiert. Die Idee stammt aus England, das Ziel ist, die Arbeit der Philharmoniker jungen Menschen zugänglich zu machen, besonders solchen, die mit Klassik bisher nichts zu tun hatten.

Das Besondere an dem Projekt: Die Jugendlichen werden selbst kreativ. Außerdem werden zwei Schulen zusammengebracht, die sonst keine Berührungspunkte haben: Während die Lenau-Grundschüler die Musik spielen, tanzen Schüler der Charlottenburger Ernst-Adolf-Eschke-Schule für Gehörlose dazu.

Daher packen die Lenau-Grundschüler auch gleich die Instrumente aus. Ein paar Instrumente haben die drei Musiker der Philharmonie mitgebracht, die für das Projekt regelmäßig ihre Mittagspause hergeben. Der Schlagzeuger Raphael Haeger ist einer von ihnen. Er hat einige Schüler mit Kuhglocken ausgestattet, mit denen sie nun den Rhythmus proben. Genauso konzentriert laufen die Workshops in der Turnhalle der Ernst-Adolf- Eschke-Schule ab.

Dort schauen 54 Augen genau hin. Sie folgen der Tanzpädagogin Katja Borsdorf, die ihre Arme wie eine Windmühle kreisen lässt. Dann machen die Schüler es ihr nach. Da sie gehörlos oder in ihrem Hörvermögen stark eingeschränkt sind, tanzen sie ohne Musik. In den vorangegangenen Workshops sind durch Improvisationen Choreografien zu den Zeichnungen des Künstlers Viktor Hartmann entstanden, der Mussorgski zu seiner Komposition inspiriert hat. Diese Choreografien werden heute geprobt.

Vortänzerin Borsdorf legt ihre rechte Faust an ihre rechte Wange – die Gebärde für „Bauer“. Das ist der Titel eines der vertonten Bilder, zu denen die Schüler einen Tanz eingeübt haben. Dafür finden sie sich zu einem Standbild zusammen: Da werden unsichtbare Säcke geschleppt, Samen gestreut und Unkraut gejätet. Sofort entsteht beim Zuschauer der Eindruck von mühevoller Feldarbeit. Die 13-jährige Mascha streckt einen Arm in die Luft, als wolle sie einen Apfel pflücken. Das Schwierigste seien die Akrobatikeinlagen, sagt sie. Tatsächlich werden die Jugendlichen für eine weitere Choreografie zu Artisten und bauen sich zu Türmen auf. Da ist es von Vorteil, dass sie aus drei verschiedenen Klassenstufen sind: So einen kleinen Achtjährigen hat man einfach lieber auf seinem Rücken stehen.

Tanzpädagogin Borsdorf ist mit dem Ablauf der Proben sichtlich zufrieden. Es ist ihre erste Zusammenarbeit mit gehörlosen Schülern. „Sie sehen ganz anders hin und können genauer beobachten“, stellt sie fest. Kleine Korrekturen werden ohne große Erklärungen verstanden, selten übersetzt einer der Klassenlehrer. Denn für das Tanzen sind – wie auch für das Musizieren in der Lenau-Grundschule – kaum Worte nötig. Lena Hach

Das Ergebnis ist am 11. Oktober um 18.30 Uhr im Foyer der Philharmonie zu sehen. Kostenlose Karten sind an der Kasse erhältlich.

Lena Hach

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