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Wer führt hier wen? Bert (vorne) wartet auf seine Reiterin, die noch ihren Helm suchen muss, Elisa hält ihn fest. Püppi (hi.), Star der Reit-AG-Ponys, ist mit Team Charly (oben) und Emma startklar.

© Ariane Bemmer

Grundschule in Wilmersdorf: Da steht ein Pferd auf dem Hof

An einer Grundschule in Wilmersdorf können Kinder gratis reiten lernen – und dabei ihr Selbstbewusstsein stärken.

Das ist wirklich furchtbar, überall Haare. „Iiiehh!“, schreit Soliana, wischt sich mit dem Arm übers Gesicht, aber in der Hand hält sie eine Bürste, aus der weitere Haare wehen, „pfff“ macht sie und versucht, die wegzupusten, es ist ein aussichtsloser Kampf. Wer je im böigen Frühlingssturm ein Pony mit Winterfell geputzt hat, weiß, wie ignorant der Spruch „Das Leben ist kein Ponyhof“ ist, der sagen will, dass Leben nicht nur Spaß ist.

Soliana jedenfalls muss an diesem Dienstagnachmittag durchaus Niederlagen einstecken. Erst die Ponyhaare im Gesicht, und später schubst Mausi sie auch noch. Solianas Begeisterung für die Ponyfreunde AG schmälert das aber nicht, im Gegenteil: Sie hätte gern ein Pferd, sagt sie, mit dem käme sie dann zur Schule geritten.

Dienstags bis donnerstags ist in der Wilmersdorfer Cecilienschule am Nikolsburger Platz nachmittags die Ponyfreunde AG. Das heißt: Heidi und Mausi sind auf dem Schulhof, zwei alte Shetlandponystuten mit Nerven aus Stahl und fusseligem Äußerem, und die Ponyfreunde – alles Mädchen, Jungs machen nur selten mit – kümmern sich.

Am Rand des Schulgeländes steht an diesen Tagen der Hänger, mit dem die beiden Ponys vom Zehlendorfer Kinder- und Jugendreitverein KJRFV zur Schule gebracht werden, außer es sind Ferien, wie jetzt, dann bleiben die Tiere zu Hause. Ihren Auslauf, Paddock genannt, haben sie am Ende des Pausenhofs, er ist sehr groß und hat einen Schuppen, in dem Futter, Stroh, Halfter, Putzkästen, Besen und Schaufeln aufbewahrt werden, draußen sind Raufen montiert, aus denen Heu gefressen wird.

Am Baum hängt ein Schild: Füttern verboten. Das gilt für alle – außer für die Kinder aus der Ponyfreunde-AG. Die dürfen. Unter Anleitung von Lehrerin Sarah Bahm. „Wer möchte ein Leckerli geben?“, fragt sie, und zehn Arme werden in die Luft gestreckt. Ruckzuck ist die Schale mit den Leckerlis leer, „aber gerecht verteilen“, ruft Bahm, damit nicht alles an Heidi geht, die noch etwas sanfter ist als Mausi. Auch Soliana hat lieber mit Heidi zu tun. Trotzdem traut sie sich, als es daran geht, Mausi übungsweise durch einen mit Eimern markierten Schlangenlinienparcours zu führen. Beherzt packt sie den Strick am Halfter, „setz’ dich durch!“, ruft Lehrerin Bahm, aber als Mausi dann loslatscht, lässt Soliana sich beiseiteschubsen. Macht nichts, tröstet die Lehrerin.

Die anderen Kinder haben inzwischen den Paddock gefegt und die Pferdeäpfel zusammengekehrt, die die Garten-AG verwerten wird. Dann wird Heu aus der Hütte in die Raufen gestopft, und schon sind die 90 Minuten AG-Zeit fast um – Mausi und Heidi machen sich über ihr Fressen her, und die Kinder hocken nebeneinander auf dem Paddockzaun und schauen ihnen zu.

Das Umgehen mit den Tieren, darum geht es in der AG. Das Sichdurchsetzenlernen und das Übernehmen von Verantwortung. Und es wirke, sind sich die Erwachsenen einig, so klein die Mädchen auch sind. Die Ponyfreunde AG richtet sich nur an Erst- und Zweitklässler, ab der dritten Klasse gibt es dann die Reit AG, deren Teilnehmer immer montags rausfahren zur Reitschule des KJRFV und dort gratis reiten lernen – finanziert wird die AG aus Schulmitteln der sogenannten Personenkostenbudgetierung.

Seit zehn Jahren eine Win-Win-Situation

Die Kooperation zwischen Schule und Reitverein hängt mit der Ausweitung der Schulzeiten bis in den Nachmittag zusammen und ist seit zehn Jahren eine Win-Win-Situation. Der Schule verschafft sie ein attraktives AG-Angebot, dem Verein potenzielle neue Mitglieder und eine bessere Auslastung der Ponys, die, seit Schule bis 16 Uhr geht, nur noch spät geritten werden. Die Reit AG dagegen hüpft und hopst schon um 13.30 Uhr von der nahen Busstation zum saloonhaften Gelände des Reitvereins. Neun Mädchen und Schulleiterin Marianne Könnecke, die die Anreise mit U-Bahn und Bus betreut. Bei den Ponys warten Lehrerin Marie Neubronner und Lehramtsstudentin Katharina Hallanzy, die beide reiten können und die AG betreuen. Die Mädchen sind mit Stiefeln, Helmen und T-Shirts mit Pferdemotiven perfekt ausgestattet und vor Freude rosig im Gesicht. „Wen krieg ich?“ „Krieg ich Püppi?“ „Ich will Püppi!“, „Ich will auch Püppi!“, quietschen sie durcheinander. Denn Püppi ist das größte, jüngste und schnellste Pony.

Auch hier wird erst mal geputzt, je zwei Mädchen beackern ein Pony. Putzzeug holen, Fell striegeln, Hufe auskratzen, Mähne kämmen, Putzzeug wegbringen, Ordnung muss sein, auch das wird gelernt. Dann werden Trense und Reitdecke am Pony montiert, und los geht es. Ein Mädchen führt, eins sitzt oben, später wird getauscht. Auch hier ruft die Lehrerin „Setz dich durch“, wenn ein Pony plötzlich zum Wegesrand drängelt, wo Gras sprießt und zu fressen beginnt.

Ob die Tiere machen, was Menschen wollen, ist eine Frage des Auftretens, nicht von Größe oder Alter. Püppi marschiert erwartungsgemäß vorneweg, Emma führt, oben sitzt Charly, kerzengerade und stolz. Sie hat als Erste nach Püppi gerufen. Weil Püppi sei wie sie selbst: Wenn ein anderes Pony Püppis Futter stehlen wolle, würde Püppi sich wehren. „So wie ich!“, sagt Charly. Keine schlechte Einstellung für eine Reiterin.

Für die einen geht es nun in einen nahen Geländeparcours, Hügel hoch, Hügel runter, kleine Hüpfer über Baumstämme, die Mädchen sitzen fest, und die größte Gefahr bleibt: dass die Ponys anhalten, losfressen und die Kinder ignorieren. Aber hier nicht. Die Pferdeohren sind nach hinten gespitzt, die Kinder konzentriert. Die anderen drehen als Anfängerinnen in einem Rondell ihre Kreise, lehnen sich auf dem Pony vor oder zurück, dehnen und strecken sich, während es unter ihnen wackelt. Das schule vor allem die Motorik und schaffe so nebenbei auch Vertrauen, sagen die Lehrerinnen.

Vor zwei Wochen war großer Putztag im Reitverein, da kamen die Schulkinder mit ihren Eltern, und manche Eltern, erzählt Marie Neubronner, hätten erstaunt zugesehen, wie selbstbewusst und resolut die Töchter mit den Ponys umgegangen seien. „Da hat sich schon einiges geändert“, sagt die Lehrerin. Und freut sich. Denn genau so und genau hier hat sie als Kind auch mit dem Reiten angefangen. Ein Hobby, das sie nun sogar quasi zum Beruf machen konnte. Das Leben als Ponyhof – manchmal klappt es.

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