zum Hauptinhalt

Lesen: Die Schule der Vorleser

Spaß am Lesen: In Seminaren kann man lernen, wie man als ehrenamtlicher Pate Kindern Freude an Büchern vermittelt.

Der Quotenmann kommt als Letzter. Christine Kranz, die seit zwanzig Jahren Lesepaten für die Stiftung Lesen ausbildet, hatte ihn schon angekündigt. Denn meist wollen nur Frauen Lesepaten werden. Diesmal sind es insgesamt 17 Personen, die an dem ganztägigen Vorlese-Seminar in der Stadtbibliothek Friedrichshain teilnehmen.

Obwohl sich viele Kinder wünschen, dass ihnen vorgelesen wird – und besonders für Kinder aus Einwandererfamilien wäre das zum Erlernen der Sprache wichtig –, wird immer weniger vorgelesen. Die Stiftung Lesen in Kooperation mit der Deutschen Bahn und der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ haben herausgefunden, dass in 42 Prozent der Familien mit Kindern bis zu zehn Jahren kaum oder gar nicht vorgelesen wird. Diese Lücke füllen ehrenamtliche Vorlesepaten, die in die Schulen kommen.

Guter Wille und die Liebe zu Kindern und Büchern allein reichen freilich nicht aus, um eine erfolgreiche Lesepatenschaft anbieten zu können. Das macht die Referentin, selbst Mutter von vier Söhnen im Alter von 16 bis 28 Jahren, schnell deutlich. Sie zitiert aus einer Studie, in der Jugendliche gefragt wurden, was Kultur ist. Ein Junge antwortete: „Kultur ist, wenn man freiwillig liest.“ Wie aber kriegt man Kinder dazu, freiwillig zu lesen? „Das Beste ist, man sagt, für dieses Buch ist es noch zu früh.“ Das funktioniert bei älteren Kindern. Den jüngeren vermittelt man die Lust am Lesen tatsächlich am besten, wenn man ihnen Geschichten so vorliest, dass sie Freude daran finden.

Dafür ist ein ruhiger Raum nötig, in dem es keine Ablenkung gibt. Am besten sollte draußen ein „Bitte nicht stören“-Schild an der Tür hängen. Damit sich die Kinder besser konzentrieren, sollten sie vor dem Vorleser sitzen. Wenn das Buch spannend ist, kann der aber auch stehen. Gute Lesepaten arbeiten an ihrer Gestik und Mimik. Gerade Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen nehmen nur 40 Prozent des Inhalts über die Wörter auf, den Rest über die Körpersprache. Erfahrene Paten wissen auch, dass die Aufmerksamkeit bei Kindern begrenzt ist, und planen für eine Vorlesestunde höchstens 30 Minuten ein, bei Grundschülern sogar nur 20 Minuten, in denen weder gegessen noch getrunken werden darf und alle Ablenkung möglichst ausgeschaltet werden sollte.

Christine Kranz hat beste Erfahrungen mit einer Schatzkiste gemacht. Die enthält Gegenstände, die zur Geschichte passen und die Fantasie anregen, Muscheln und Federn zum Beispiel, Haselnüsse und Holzfiguren, Fingerpuppen und Stofftiere, Steine und Schneckenhäuser.

Auch eine Klangschale gehört zu ihrer Ausrüstung. Es sei wichtig, die Vorlesestunde zu ritualisieren, sagt sie. Entweder man zieht bestimmte Märchenschuhe an oder lässt eines der Kinder mit langem Streichholz eine bunte Märchenkerze anzünden oder markiert Anfang und Ende mit Hilfe der Klangschale. Bei manchen Klassen kommt es gut an, wenn man die Stunde mit einem Witz beginnt.

Um sich besser kennenzulernen, könnte man auch ein Fragespiel an den Anfang stellen. „Woran schnupperst du gern?“, ist so eine Frage, über die man ins Gespräch kommen kann.

Zum Ritual gehört auch die Regelmäßigkeit. Lesepaten sollten sich nicht überschätzen. Zum Einstieg empfiehlt Christine Kranz, einen Termin alle zwei Wochen in einer nahe gelegenen Schule festzumachen und sich möglichst mit einem anderen Paten zusammenzuschließen. Richtig findet sie es auch, wenn man sich beim Elternabend vorstellt oder einen kleinen Steckbrief von sich in Umlauf bringt. Das schafft Vertrauen.

Selbstverständlich sollte man das Buch genau kennen, das man den Kindern vorlesen will. Man sollte es sich selber zu Hause mindestens drei bis vier Mal selber vorlesen. Im Idealfall hat man es auch anderen schon mal vorgelesen. Illustrationen zeigt man den Kindern erst, nachdem man eine bestimmte Passage vorgelesen hat. Schließlich sollen die Bilder ja zuerst in den Köpfen der Kinder entstehen.Wer unsicher ist, welche Geschichten sich zum Vorlesen eignen, findet Orientierung zum Beispiel in dem Buch „Erzähl uns eine Geschichte über Freundschaft – Die schönsten Vorlesegeschichten“. Ausgesucht hat sie die Stiftung Lesen. Auch das von Edmund Jacoby herausgegebene Buch „Dunkel war’s, der Mond schien helle. Verse, Reime und Gedichte“ enthält guten Vorlesestoff. Der Besuch eines Vorleseseminars lohnt auch in dieser Hinsicht. Am Nachmittag teilen sich die künftigen Paten in Gruppen auf und untersuchen Bücher auf ihre Tauglichkeit. Elisabeth Binder

Mehr Infos unter:

www.stiftunglesen.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false