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Position: Bildung in Berlin braucht Vielfalt

Die Forderung nach einer Gemeinschaftsschule geht an der Wirklichkeit vorbei.

In der deutschen Bildungspolitik tobt eine Strukturdebatte, obwohl nach den Pisa-Untersuchungen klar geworden ist, dass nicht das Schulsystem, sondern die Unterrichtsqualität entscheidend zum Bildungserfolg beiträgt. Ideologisch mündet diese Debatte in die Forderung nach einer „Schule für alle“. Wo bleibt die Wirklichkeit?

Angesichts der Situation in Berlin, dass in einigen Bezirken überwiegend Kinder mit Migrationshintergrund und aus sozial schwachen Familien eingeschult werden und in anderen Bezirken überwiegend die Kinder der deutschen Mittelschicht, ist eine Schule für alle ein Traum – wohlwollend betrachtet –, wahrscheinlich aber ein bildungspolitisches Täuschungsmanöver zur Durchsetzung ideologischer Ziele.

Aus den Familien, Kitas und Grundschulen kommen in Berlin Jugendliche ohne ausreichende Deutschkenntnisse, ohne Anstrengungs- und Leistungsbereitschaft und oft ohne zivilisierte Umgangsformen an die Hauptschulen. Sie haben an der Grundschule nur Misserfolgserlebnisse gehabt. An kleinen Hauptschulen mit engagierten Lehrkräften und bei günstigen Rahmenbedingungen wie kleinen Klassen, Sozialarbeitern, konsequenter berufspraktischer Orientierung können sie zum ersten Mal Erfolgserlebnisse verzeichnen und auf Klassenfahrten Umgangsformen und bei entsprechender Bereitschaft einigermaßen Deutsch lernen.

Die für diese Schüler erfolglose Gemeinschaftsschule namens „Grundschule“ von sechs Jahren auf acht oder zehn auszudehnen, löst keine Probleme, sondern verstärkt sie: Die Probleme der Hauptschulen und vieler Gesamtschulen sind nicht die dieser Schularten selbst, sondern die Probleme resultieren aus der geringen Leistungsfähigkeit der Kinder, die nur eine Hauptschulempfehlung erhalten können. Sie durchlaufen mit ihren schlechten Lernvoraussetzungen und Problemen die Grundschule und werden dann in Hauptschulen weitergereicht. Dass sie später kaum Arbeit finden, liegt aber nicht daran, dass sie Hauptschüler waren, sondern an Familien, in denen nicht genug gefördert wurde; an der oft nicht gelungenen sprachlichen und kulturellen Integration vieler Migranten und an einer unzureichenden vorschulischen Bildung.

Immer wieder werden die Ergebnisse der Pisa-Studien als Argument für die Einrichtung von Gemeinschaftsschulen herangezogen. Diese Argumentation dürfte jetzt schwieriger werden: Schließlich hat Deutschland in der aktuellen Pisa-Studie, die heute offiziell vorgestellt wird, erheblich aufgeholt und liegt inzwischen auf Platz 13 bei 57 Teilnehmern. Damit hat es auch Frankreich und Schweden hinter sich gelassen, die doch immer als Kronzeugen für den Erfolg der „Schule für alle“ herhalten mussten.

Zwar werden die Befürworter der Gemeinschaftsschulen weiterhin mit Kanada und Finnland argumentieren, die auch bei der dritten Pisa-Studie an der Spitze liegen. Dazu muss man aber zweierlei sagen: Im Gegensatz zu Deutschland lässt Kanada nur leistungsstarke Einwanderer ins Land; und das finnische Schulsystem hat kaum mit Migranten zu tun. Zudem sollte, wer den finnischen Erfolg als Argument gegen das gegliederte Schulsystem benutzt, bedenken, dass Bayern in der letzten Pisa-Studie fast das Niveau von Finnland erreicht hatte – trotz eines wesentlich höheren bayerischen Migrantenanteils. Zudem wird in Bayern, das ab Klasse 5 die Kinder aufteilt, neben Finnland, Japan und Kanada die weltweit niedrigste Koppelung von hohem Kompetenzniveau und sozialer Herkunft festgestellt. Das nenne ich demokratisch.

Es geht nicht um neue Schulstrukturen in Berlin, sondern um auf alle Begabungen zugeschnittene Schularten und Schulprofile, um stärkere individuelle Förderung und Lernwege. Es geht um eine Vielfalt im Schulwesen unter Einschluss von Schulen in kirchlicher und privater Trägerschaft, um Bildungsgänge ohne Sackgassen und mit vielen Übergangsmöglichkeiten. Viele schulische Wege können zu Berufsausbildung und Universität führen.

Gerhard Schmid ist Regionalbeauftragter Berlin-Brandenburg des Bundes Freiheit der Wissenschaft, Oberschulrat in Berlin sowie ehemaliger Hauptschulleiter.

Gerhard Schmid

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