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Schule: Knochenjob Lehrer

Lange Nacht der Korrekturen: Katrin K., 49, ist seit mehr als zwei Jahrzehnten Lehrerin. Unterrichten war ihr Traumberuf. Jetzt macht der Job ihr zu schaffen.

Als Angestellte wollen sie nicht arbeiten, sagen Berliner Junglehrer und drohen mit dem Weggang in andere Bundesländer, die weiterhin verbeamten und deshalb netto etwa 700 Euro mehr zahlen. Der Senat hingegen war jahrelang davon überzeugt, dass Berlin als Stadt attraktiv genug ist, um die Lehrer trotz geringerer Gehälter zu halten. Was er offenbar nicht bedacht hat: Selbst Berlin-Liebhaber sehen nicht mehr ein, warum sie diesen Knochenjob für weniger Geld machen sollen. Denn sie sehen, wie sich ihre älteren Kollegen verschleißen. Hier ein Beispiel.

Es ist kurz vor Mitternacht: In der Wohnung ist es schon still, nirgendwo brennt mehr Licht, ihre beiden Kinder schlafen seit fast drei Stunden, ihr Mann verabschiedete sich ins Bett: Katrin K. (Name geändert) sitzt schon wieder seit dem Abendessen am Schreibtisch. In ihrem Arbeitszimmer brennen zwei Schreibtischlampen, eine Zigarette glimmt im Aschenbecher und eine Thermoskanne mit Kaffee steht zwischen Stapeln von Papieren und Ordnern.

Katrin K. korrigiert die Aufsätze ihrer Schüler: Klausuren eines Deutschkurses. Katrin K. liest sehr konzentriert, vergisst dabei Zigarette und Kaffee. Die Texte der Schüler über den „Faust“ haben in etwa einen Umfang von 1500 Wörtern. Nach dem ersten Lesen, folgt die Fehlerkontrolle, dann ein weiteres Mal Lesen und das Hinzufügen von Anmerkungen, dann schreibt Katrin K. aus den Anmerkungen ein Gutachten als Hilfe für ihre Schüler: Am Ende wird sie die Aufsätze nach dem Lesen der Gutachten auf verschiedene Stapel für die Notengebung verteilen.

„Ich habe dieses Stapelsystem seit gut 20 Jahren. So versuche ich, bei der Benotung möglichst fair zu sein.“ An einem Aufsatz sitzt sie 30 bis 40 Minuten. Sie hat 21 Schüler. Es wird wohl eine lange Nachtschicht. Um 7.30 wird sie aber wieder in ihrer Schule sein.

Katrin K. arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Lehrerin. Sie wollte nie etwas anderes werden: „Dieser Job war und ist mein absoluter Traumberuf: Ich wollte immer Deutsch und Englisch unterrichten, mit Kindern und Jugendlichen arbeiten“, sagt Katrin K., als wir uns am nächsten Tag mittags auf eine Tasse Kaffee treffen. Sie wirkt müde, ihre Augen sind rot. Bis drei Uhr morgens hat sie an Aufsätzen gesessen. „Länger konnte ich mich nicht mehr konzentrieren. Da bin ich sogar kurz davor, Rechtschreibfehler in die Gutachten einzubauen, also bin ich schlafen gegangen.“ Diese Nachtschichten sind häufiger geworden. „Ich habe zwei korrekturintensive Fächer, viele Kurse in der Oberstufe, bin Klassenlehrerin einer neunten Klasse und leite die Theater-AG an der Schule, sitze in der Schulkonferenz als eine Vertreterin der Lehrer und bin in der Erweiterten Schulleitung.“

Während sie das aufzählt, wirkt es fast so, als wäre Katrin K. über die viele Arbeit, ihre Leistung selbst ein wenig erstaunt. Sie zündet sich eine Zigarette an: „Ich rauche nie vor meinen Schülern“, sagt sie schnell. Am heutigen Tag hat sie vier Stunden unterrichtet. Das klingt nicht viel. Trotzdem reicht es Katrin K. Sie bereitet jede Stunde akribisch vor. Als wir uns trafen, saß sie schon vor einem Ordner: Dort hat sie für ihren Deutschunterricht Material zusammengeheftet. Für jede Stunde erstellt Katrin K. einen Plan, überlegt sich sehr genau, was sie an diesem Tag mit den Schülern erreichen will: „Ohne diese Notizen wäre ich ziemlich aufgeschmissen. Ich mache sie mir auch, um für die Schüler organisiert zu sein. Ich muss mich voll konzentrieren können, damit sie den Respekt vor mir behalten.“

Wenn man sie im Klassenraum besucht, versteht man sofort, was gemeint ist: In ihrer neunten Klasse ist vor dem Läuten die Hölle los. Es ist halb elf und die große Pause dauert noch etwa zehn Minuten. Katrin K. ist schon in der Klasse, weil sie mit ein paar Schülern noch sprechen wollte: Einer wurde beim Rauchen auf dem Hof erwischt, ein anderer hat unentschuldigte Fehlstunden und ein Mädchen will nicht auf Klassenfahrt mitfahren, weil sie sich gemobbt fühlt.

„Diese Probleme sind Alltag, aber man muss sich denen mit größter Hingabe annehmen, sonst fühlen sich die Schüler schnell allein gelassen“, erklärt sie. Bei 27 Schülern in ihrer eigenen Klasse kommt da eine Menge zusammen: Schüler- und Elterngespräche, die Planung von Ausflügen und Klassenfahrten, Elternabende, Zeugnisse. Bei 26 wöchentlichen Unterrichtsstunden hat sie eine Stunde Ermäßigung als Klassenlehrerin. „Ein Hohn“, sagt sie. Auf die Frage, wie lange sie insgesamt arbeite, antwortet Katrin K. erst nach langem Überlegen: „Gute 60 Stunden in der Woche.“Sie zündet sich eine weitere Zigarette an und es wirkt so, als wäre es ihr unangenehm zu rauchen, ein Laster zu haben, auch mal nicht hundertprozentig kontrolliert zu sein. „Es ist in unserem Job schon sehr ungerecht: Ein Kollege von mir unterrichtet beispielsweise Sport und Musik, hat keine Klasse. Der arbeitet nicht annähernd so viel, weil er nun kaum bis gar nichts zu kontrollieren hat und die Vorbereitung doch eher überschaubar ist. Der kann die Stunden auf einer Arschbacke absitzen“, sagt Katrin K. und wirkt sauer.

„Seit ich als Lehrerin arbeite, wurde die Stundenzahl sukzessive erhöht, Ermäßigungsstunden zusammengekürzt. Und dann wurde auch immer weiter die Klassengröße erhöht. Das ist nicht gerade motivierend.“ Katrin K. sagt wie viele ihrer Kollegen, dass sie etwas müde ist: „Der Druck ist in den letzten Jahren gestiegen, und die Schüler sind nicht gerade einfacher geworden.“ Sie meint Verhaltensauffälligkeiten, soziale und familiäre Probleme. „Ich bin nicht eine, die meckert: Es ist klar, dass wir uns als Lehrer der Kinder auch genau darum kümmern müssen, nur können wir nicht noch die Arbeit eines Therapeuten oder die elterliche Liebe übernehmen. Viele Eltern erwarten aber genau das, wenn ihre Kinder um acht Uhr morgens vor uns sitzen.“ Zwei Tage später ist Wandertag. Katrin K. besucht mit ihren Schüler die Mauergedenkstätte. Sie hat wieder eine Nachtschicht hinter sich. „Der nächste Stapel Englischaufsätze hat mir den Schlaf geraubt. Aber im Moment kann ich nichts liegen lassen, weil ich gerade so viele Arbeiten und Hausaufgaben kontrollieren muss.“

Die Kinder kriegen von dem Stress nichts mit. Während der Führung sind sie laut, rennen durcheinander, haben Spaß. Katrin K. ist es etwas unangenehm, wie sich „ihre Kids“ aufführen und entschuldigt sich bei einem Mitarbeiter der Gedenkstätte. In Gedanken ist sie bei der Vorbereitung der nächsten Tage und beim Elternabend heute. Davor wird sie drei Telefonate mit Eltern aus einer anderen Klasse führen, es gibt Probleme. „Aber eigentlich ist mir jetzt nur nach einer Zigarette und einem guten Buch“, sagt sie, während ihre Schüler wild durcheinanderlaufen und herumtollen.

Ric Graf

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