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Benoten darf nur einer. Eigentlich sollten nicht nur Lehrer ihre Schüler bewerten, sondern auch umgekehrt. Doch die Schüler-Befragungen laufen bisher nur schleppend an.

© picture alliance / dpa

Exklusiv

Selbstevaluation in Berliner Schulen: Lehrer lassen sich nicht gern von Schülern bewerten

Eigentlich sollten sich alle Berliner Lehrer der Einschätzung ihrer Schüler stellen. Doch bislang war nur jeder sechste dazu bereit.

Kann ich gut erklären? Lernen meine Schüler angstfrei oder erwarte ich zu viel? Gebe ich zu viele Hausaufgaben und wie steht es mit meinem Krisenmanagement? Kommt mein Lateinunterricht an?

Fragen wie diese hat das Institut für Schulqualität Berlin-Brandenburg (ISQ) erarbeitet, damit die Lehrer beider Bundesländer ohne großen Zeitaufwand und anonym ihren Unterricht von ihren Schülern beurteilen lassen können. Doch das Instrumentarium scheint die Pädagogen noch nicht ganz überzeugt zu haben: Bislang hat nur ein Bruchteil von ihnen das ISQ-Evaluationsportal genutzt. Auf rund 25 000 der knapp 30 000 Berliner Lehrer wartet das ISQ bislang vergebens. Dies ergab eine Anfrage des Tagesspiegels bei der Bildungsverwaltung.

Der Befund ist brisant, denn seit November 2011 sind die Berliner Lehrer verpflichtet, sich von ihren Schülern bewerten zu lassen. So sah es das sogenannte Qualitätspaket des ehemaligen Bildungssenators Jürgen Zöllner (SPD) vor. Er hatte auch durchgesetzt, dass der Prozess alle zwei Jahre wiederholt werden muss. Bislang sieht es nicht so aus, als könnte das Ziel erreicht werden, denn die Evaluation kommt nur schleppend in Gang: Im vergangenen Schuljahr stellten sich nur knapp 2500 Lehrer der Bewertung durch ihre Schüler, 2011/12 waren es 1700. Zwar waren das mehr als in den Vorjahren, als das Verfahren noch freiwillig war. Aber zurzeit rechnet kaum jemand damit, dass im Laufe von zwei Jahren noch alle 30 000 Lehrer erreicht werden.

„Es ist wie mit den Fortbildungen: Eigentlich sind alle dazu verpflichtet, aber niemand kontrolliert es, und Sanktionen drohen auch nicht“, resümiert ein Schulleiter. Tatsächlich scheint die Bildungsverwaltung keinen übermäßigen Druck auszuüben. Sie teilt lediglich mit, es gehöre „zu den Aufgaben der Schulleiter, darauf zu achten, dass das Instrument der Selbstevaluation von den Lehrkräften angewendet wird.“ Von Sanktionen ist nicht die Rede. Dennoch gibt es keinen Zweifel, dass die Bildungsverwaltung an diesem Punkt des Qualitätspaketes festhält.

Als ein Teil des Kollegiums der Kreuzberger Heinrich-Zille-Grundschule vor einigen Monaten seine Bedenken anmeldete und auch vorbrachte, dass die Einbeziehung von Drittklässlern nicht unbedingt Sinn mache, hatten sie damit keinen Erfolg. Damit war die Sache für Rektorin Inge Hirschmann klar: „Bis Weihnachten müssen alle Kollegen mitgemacht haben“, hat sie festgelegt und sagt, dass sie selbst diese Verpflichtung gar nicht schlecht findet: „Man kann sich lange betrügen, wenn man nicht genau hinguckt. Das spricht für die Evaluation“, findet Hirschmann.

Andererseits versteht sie auch die Ängste mancher Kollegin: „Jetzt heißt es noch, dass die Ergebnisse anonym und geheim bleiben. Aber das wurde bei den Schulinspektionsberichten auch zunächst gesagt“, zitiert sie eines der Argumente der Skeptiker. Zudem brauche so eine Selbstevaluation Muße, die viele Kollegen aber nun mal nicht hätten. „Es ist zu viel Hektik", gibt auch Paul Schuknecht vom Schulleiterverband zu bedenken. Zudem gebe es Kollegen, die „keine Affinität zu solchen Online-Verfahren haben“. Allerdings findet er es ebenso wie Hirschmann „wichtig, dass die Schulen über die Ergebnisse diskutieren".

Die Schulen sind allerdings nicht gezwungen, die Fragebogen des ISQ zu benutzen. Ausnahmen werden zugelassen, sofern Schulen ein eigenes bewährtes Selbstevaluationskonzept vorzuweisen haben und dies genehmigen lassen. Dies gilt etwa für die Pankower Rosa-Luxemburg-Schule und für das Oberstufenzentrum Druck- und Medientechnik in Wittenau. „Bei uns haben sich alle evaluieren lassen“, berichtet Luxemburg-Direktor Ralf Treptow. Fragebogen wurden von der Schulkonferenz beschlossen und haben deshalb eine hohe Akzeptanz in der Schule. „Jeder Lehrer bei uns muss die Fragen in drei Unterrichtsgruppen einsetzen und mit einem Kollegen seines Vertrauens über seine Erfahrungen sprechen“, erläutert Treptow das Vorgehen an seiner Schule.

An anderen Schulen ist man davon weit entfernt. Angesichts der Tatsache, dass sich rund 25 000 Lehrer noch gar nicht den Fragen des ISQ und den Antworten ihrer Schüler gestellt haben, ist davon auszugehen, dass das Evaluationsportal an vielen Schulen noch überhaupt keine Rolle gespielt hat. Wie dies innerhalb von wenigen Monaten zu ändern sein könnte, ist völlig unklar.

Allerdings haben die geringen Nutzerzahlen die Bildungsverwaltung offenbar alarmiert. „Wir treten in den kommenden Wochen an die Schulleitungen heran, um für die Selbstevaluierung zu werben und Lehrkräfte zur Nutzung zu motivieren“, kündigte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) gegenüber dem Tagesspiegel an. Im Übrigen wirbt die Verwaltung um Verständnis dafür, dass nicht mit Sanktionen gedroht wird: Die Selbstevaluation sei für den Nutzer nur dann erfolgreich, „wenn er sie annimmt“.

Demnächst können auch die Schulräte unter Beweis stellen, ob sie offen für Kritik von außen sind: Das ISQ hat Fragebögen entwickelt, die sich auf die Arbeit der Schulaufsichtsbeamten beziehen. Sie wären dann von den Schulleitern auszufüllen. Einen Probelauf hat es bereits gegeben. Allerdings sollen die Schulräte nicht zu diesem Schritt verpflichtet werden.

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