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Muttersprache, Herkunftssprache: Wie die Sprachkenntnisse von Berliner Schülern erhoben werden, handhaben Schulen unterschiedlich.

© Kitty Kleist-Heinrich

Schüler in Berlin: Sprechen Sie Nichtdeutsch?

Wie die Deutschkenntnisse von Schülern erhoben werden, variiert in Berlin von Schule zu Schule. Zusätzliche Förderstunden basieren auf ungenauen Statistiken. Andere Muttersprachen werden nicht standardmäßig erfasst.

109.990 Kinder und Jugendliche, mehr als jeder dritte Schüler ist laut Schulstatistik „nichtdeutscher Herkunftssprache“. Vom Anteil der Schüler nicht-deutscher Herkunftssprache (ndH) an einer Schule hängen Fördergelder für zusätzliche Lehrerstunden ab. Wenn Eltern sich auf den Internet-Seiten der Senatsverwaltung über Schulen informieren, rufen sie diesen Wert in der Statistik am häufigsten ab. Was ndH genau heißt und wie es erhoben wird, dafür gibt es in Berlin keine einheitlichen Standards.

Laut Definition der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft bedeutet ndH, dass die „Muttersprache bzw. Familiensprache“ eines Kindes „nicht deutsch“ ist. In den Online-Schulporträts findet man den zusätzlichen Hinweis, es sei grundsätzlich zwischen Schülern deutscher Herkunftssprache und Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache zu unterscheiden. Die Nationalität sei für diese Frage ohne Belang, entscheidend sei die Kommunikationssprache innerhalb der Familie. Wie wird ein Kind eingestuft, das mit seiner Mutter Deutsch und mit seinem Vater Spanisch spricht? Wie Kinder, die mit ihren Eltern Türkisch sprechen, aber untereinander Deutsch? Und mehrsprachige Kinder, die von klein auf zusätzlichen Deutsch-Unterricht bekommen?

Die Auslegung von ndH liegt in vielen Schulen bei den Eltern. Sie machen die Angabe in einem Formular mit der Schulanmeldung wie an der Lietzensee-Grundschule in Charlottenburg. 39,5 Prozent sind hier ndH. Zusätzlich frage man auch die Muttersprachen der Eltern ab, erzählt Schulleiterin Gabriele Netzband. Um zu wissen, wie die Schule mit den Eltern kommunizieren kann und ob die Eltern die Kinder bei den Hausaufgaben unterstützen können. Auch Botschaftskinder, die die Schule besuchen, geben ndH an.

In manchen Schulen ordnen die Mitarbeiter in den Sekretariaten auf Grundlage von Elterngesprächen oder entsprechend der Lerntagebücher aus der Kita die Sprachkenntnisse der Schüler zu. An der Ludwig-Cauer-Grundschule in Charlottenburg werden die Angaben der Eltern in manchen Fällen korrigiert. „Viele Eltern geben im Formular Deutsch als Familiensprache an, weil sie sonst Nachteile für ihre Kinder befürchten“, so Schulleiter Manfred Streich. Im Sekretariat höre man dann aber, wie sie mit ihren Kindern eine andere Sprache sprechen. In diesen Fällen korrigiere die Schule. 73,8 Prozent der Schüler sind hier ndH. Die Schule bekommt dafür 32 zusätzliche Lehrerstunden, mit denen klassischer Sprachförderunterricht, sprachfördernde Theater-AGs und extra Mathe-Unterricht organisiert werden. Von den zusätzlichen Angeboten profitieren auch Kinder deutscher Herkunftssprache mit Förderbedarf, so Streich.

Wissenschaftler warnen: Eltern könnten falsche Schlüsse ziehen

An der Andersen-Grundschule in Wedding sind 91,3 Prozent der Schüler ndH. Zwischen den ndH-Schülern beobachtet Schulleiter Klaus-Dieter Lambrecht eine „ganz gewaltige Bandbreite“: manche hätten sehr gute Deutsch-Kenntnisse, bei anderen sei die Schulreife wegen fehlender Deutsch-Kenntnisse fraglich. Um die Sprachförderung für die Kinder zu planen, greife man deshalb auf andere Ergebnisse zurück: der Bezirk Mitte führt jeden Frühling für die nächsten Erstklässler eine Sprachstandsfeststellung durch. Um „nicht nur nach Gießkanne“ zu fördern, sagt Lambrecht. Dementsprechend werden zum Beispiel temporäre Lerngruppen für extra Deutsch-Unterricht geplant.

Laut Senatsverwaltung ist die Definition von ndH „ganz deutlich“, so Sprecherin Beate Stoffers. Auch in mehrsprachigen Familien würde eine Sprache am häufigsten gesprochen. Das sei die Kommunikationssprache. Andere Sprachkenntnisse als Deutsch würden nicht erfasst. Bei ndH gehe es lediglich darum festzustellen, ob ein Kind dem deutschsprachigen Unterricht folgen könne. Man müsse der Einschätzung der Eltern vertrauen. Im neuen Bonus-Programm, das seit diesem Februar Schulen mit besonderen sozialen Belastungen fördert, ist ndH kein Kriterium. Entscheidend ist hier die Zahl der Lernmittelbefreiungen, also wie arm die Familien von Schülern sind.

Wissenschaftler kritisieren die unklaren Standards für die Spracherhebung der Schüler – und warnen Eltern davor bei der Schulwahl falsche Schlüsse aus der Statistik zu ziehen. „NdH sagt nichts über den sozialen Hintergrund eines Schülers und seinen Förderbedarf aus“, sagt Juliane Karakayalı, Soziologin und Migrationsforscherin an der Evangelischen Hochschule Berlin. Wenn Eltern Schulen wegen eines hohen ndH-Anteils meiden, verstärke das Segregation an Berliner Schulen. Wie eine Studie aus dem Jahr 2012 zeigte, ist ndH der Wert, den Eltern in den Online-Schulporträts der Senatsverwaltung am häufigsten abrufen. Mehrsprachige Kinder lernen bei entsprechender Förderung nicht schlechter oder besser als einsprachige. Der teilweise hohe sprachliche Förderbedarf von Deutsch-Muttersprachlern wird in der Statistik nicht abgebildet.

Der ndH-Anteil variiert stark zwischen Berliner Schulen. Sind es an Schulen in Wedding und Neukölln -Grundschule  in Wedding 91,3 Prozent, in Zinnowwald-Grundschule in Zehlendorf 3,5 Prozent Schüler. Auch innerhalb von ein, zwei Kilometern in Charlottenburg schwanken die ndH-Anteile um dreißig Prozent und mehr. 

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