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Alles so schön gleich: Die CDU sieht die SPD auf dem Weg zur "Einheitsschule".

© dpa

Verkürzung der Schulzeit: Rückwärtsgang beim Turbo-Abi

Mehr Schüler als erwartet brauchen länger als zwölf Jahre bis zur Reifeprüfung. Pädagogen warnen vor psychischer Belastung.

Das Turboabitur ist noch längst nicht zur Routine geworden. Das zeigt die hohe Zahl von rund 2000 Gymnasiasten, die dem aktuellen Abiturjahrgang im Laufe der Oberstufe verloren gegangen sind. Acht Prozent aller Schüler sind bereits nach der elften Klasse freiwillig zurückgetreten, was laut Bildungsverwaltung einer Zahl von 850 Jugendlichen entsprach. Sie sind zurzeit dabei, die elfte Klasse an ihrem eigenen oder an einem anderen Gymnasium zu wiederholen. Weitere 550 Schüler haben ihre Schullaufbahn komplett abgebrochen. Die übrigen 420 versuchen, ihr Abitur an einer Sekundarschule oder einem Oberstufenzentrum zu schaffen, wo es weiterhin 13 Schuljahre gibt. Eine noch unbekannte, aber nach den Erfahrungen des Vorjahres wohl dreistellige Zahl von Schülern ist nicht zum Abitur angetreten, sondern wiederholt die zwölfte Klasse.

In allen Gymnasien kursieren Geschichten von Mitschülern, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr dabei sind. „Es ist nicht der viele Stoff, der den Schülern zu schaffen macht, sondern die vielen Unterrichtsstunden, die großen Kurse und die vielen Hausaufgaben“, glaubt Leonie Mader vom Vorstand des Landesschülerausschusses. Hinzu komme, dass viele Schüler Nebenjobs „und ein ausgefülltes Privatleben“ hätten. Sie kennt etliche Schüler, die auf weniger anspruchsvolle Gymnasien oder Sekundarschulen wechselten, um ihre Noten zu verbessern und den Leistungsdruck zu reduzieren. Solche Fälle gab es auch früher, aber es sind mehr geworden.

Zudem gibt es Schüler wie Theo*, die sich bei der Wahl ihres Leistungskurses vertan haben. „Als ich es merkte, war es zu spät“, berichtet der 17-jährige Zehlendorfer. Sein Ausweg bestand darin, die elfte Klasse zu wiederholen. Im Nachhinein kritisiert er, dass sein Gymnasium in der zehnten Klasse nicht mehr Beratung angeboten hat: „Die wenigen Schnuppertage in den Leistungskursen haben nicht gereicht“, steht für ihn fest.

Johannes* zählt zu jenen Schülern, die schon in der zehnten Klasse massive Probleme hatten. Er ist jetzt an ein angesehenes berufliches Gymnasium gewechselt, an dem es eine dreijährige Oberstufe gibt. Sein Freund hat sich für eine Sekundarschule entschieden.

„Wir haben wöchentlich ein bis zwei Anfragen von Gymnasiasten“, berichtet Klaus Brunswicker, Leiter der Sophie-Scholl-Sekundarschule in Schöneberg. Dies sei ganz klar eine Häufung gegenüber früheren Jahren. Seine Schule könne keine „Seiteneinsteiger“ mehr aufnehmen, da die Plätze für die eigenen Schüler gebraucht würden.

„An den Gymnasien ist der Übergang von der Mittel- in die Oberstufe zu rapide, seit es die Orientierungsphase in der elften Klasse nicht mehr gibt“, begründet die 16-jährige Amelie den Wechsel vieler Mitschüler hin zu Sekundarschulen oder Oberstufenzentren. Viele erlebten einen dramatischen Notenabfall. Sie weiß sogar von einem Fall, in dem eine Schülerin in ein anderes Bundesland gewechselt sei, in dem es noch Gymnasien mit 13-jähriger Schulzeit gebe.

Generell sei die Abiturverkürzung aber kein großes Thema mehr unter den Schülern, „weil die jetzigen Schüler das 13-jährige Abitur ja gar nicht mehr erlebt haben“, beobachtet Leonie Mader, die auch Schülersprecherin am Friedrichshainer Heinrich-Hertz-Gymnasium ist. Bei den Schülern, die in zwölf Jahren durchkommen, gebe es aber die Tendenz, sich anschließend Zeit lassen zu wollen, bevor sie das Studium beginnen.

An den einzelnen Gymnasien differiert das Ausmaß des Schülerschwunds stark. Einige berichten nur über einzelne Schüler, die die elfte Klasse wiederholen wollten, etwa das John-Lennon-Gymnasium in Mitte, wo Leiter Jochen Pfeiffer von sieben Fällen spricht. Hingegen waren es am Buckower Leonardo-da-Vinci-Gymnasium 40 von 180 Schülern.

Anke Harder, Pädagogische Koordinatorin am Tegeler Humboldt-Gymnasium, warnt vor den „psychischen Belastungen“, denen die Schüler ausgesetzt seien. Insbesondere das aktuelle Jahr sei schwierig gewesen, weil das kurze zweite Schulhalbjahr, das den frühen Sommerferien geschuldet ist, die Schüler unter zusätzlichen Druck gesetzt habe. Manche hätten vor den Prüfungen auch ein Attest abgeben, „weil sie nicht mehr konnten“.

Insgesamt sind viele Gymnasialdirektoren aber nicht böse über die höheren Anforderungen: „Auf diese Weise gelingt es, zumindest in der Oberstufe die leistungsstärkeren Schüler zu bündeln“, freut sich ein Schulleiter aus Charlottenburg.

Ralf Treptow vom Verband der Oberstudiendirektoren erwartet, dass sich die Schulen im Laufe der Zeit mehr und mehr auf das verkürzte Abitur einstellen werden. In diesem Maße werde dann auch die Zahl der Schüler sinken, die die gymnasiale Oberstufe verlassen müssen. Das von Treptow geleitete Rosa-Luxemburg-Gymnasium in Pankow bietet eine Besonderheit an, um zumindest zu verhindern, dass Schüler wegen einer falschen Leistungskurswahl ein Schuljahr wiederholen müssen: Hier kann man drei statt zwei Leistungsfächer wählen und somit eines der Fächer aussortieren, wenn es an die Abiturprüfungen geht.

Dieser Weg ist allerdings sehr anspruchsvoll und nach Ansicht der Bildungsverwaltung und der meisten Schulleiter nur für Gymnasien mit Hochbegabten geeignet. Nur zwei weitere Gymnasien – das Tegeler Humboldt- und das Neuköllner Albrecht-Dürer-Gymnasium – haben bislang die Luxemburg-Variante übernommen, wobei die Nachfrage hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. (* Namen von der Redaktion geändert).

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