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Schule aus, Computer raus: Lois Fleves, die so natürlich nicht heißt, bloggt über Episoden aus dem Alltag ihrer Schule in einem nicht ganz unproblematischen Berliner Stadtteil.

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Von "Frau Freitag" bis "Notizenausdemblock": Blogs aus dem Lehrerzimmer

Schule ist eine ernste Sache, der Job im Klassenzimmer nervenaufreibend - und die Schülerschaft von heute... Manche Lehrer machen sich Luft, in dem sie ihre Erlebnisse im Internet verbreiten. Und das Ergebnis ist meist lustig

Jemand erzählt etwas, jemand anderes hört gespannt zu und sagt: Schreib das doch auf! Das ist oft der Anfang. Früher fing so manche Schriftsteller-Karriere an, heute startet man mithilfe von „wordpress.com“ oder „tumblr.com“ einen Blog – und wird danach Schriftsteller.

So war es bei Frau Freitag, der mutmaßlichen Pionierin der Blogger aus dem Lehrerzimmer, die 2009 anfing, dann von einem Literaturagenten entdeckt wurde, und „Chill mal, Frau Freitag“ schrieb. Danach kamen weitere Schulbücher und Krimis, und im März erscheint ein Lehrerratgeber. Und so wird es ja vielleicht auch noch bei Lois Fleves, die aber erst seit fünf Monaten Bloggerin ist.

Geheimiskrämerei ist wichtig, an die Schule soll niemand etwas wissen

Wie viele Berliner Lehrerblogger es gibt, ist schwer zu sagen, das Netz ist groß, mancher Blog ist klein. Und dann wird das Entscheidende ja auch verschleiert. Lois Fleves heißt natürlich so wenig Lois Fleves wie Frau Freitag Frau Freitag heißt. Pseudonyme und sonstige Geheimniskrämereien sind Pflicht, wenn Lehrer bloggen, denn in der Regel geht es um ihre Schüler, die natürlich auch nicht beim Namen genannt werden, aber trotzdem besser nicht wissen, dass und vor allem wie ihre Lehrer sie im Internet unsterblich machen. Andererseits sind seit „Fack ju Göthe“ verpeilte Schüler Stoff für Blockbuster – da könnten die noch denken: Je blöder, desto berühmter. Was ja auch niemand befördern möchte.

Zur Sache geht es in den beiden Blogs ganz unterschiedlich. Frau Freitag, die sich aktuell schuldistanziert gibt und unter fraufreitag.wordpress.com lieber über ihre Erlebnisse in der Fahrschule bloggt, pflegte einen herzhaft-rauen Ton. Bei ihr ging es mal darum, wie sie mit der Klasse einen Trickfilm drehen will und sich dann mit Tarek herumärgern muss, der einen Porno („Porno, Porno, Porno!!“) machen möchte, oder sie füllte einen Eintrag allein mit den Beleidigungen, die durch den Klassenraum gebrüllt werden: „Deine Mutter ist so fett, wenn sie gelben Pullover anzieht und von Fenster springt, man denkt die Sonne geht unter.“

Bei Lois Fleves auf notizenausdemblock.de klingt das Ganze eher lakonisch, fast schon poetisch – in etwa so: „Maries Schultasche ist rund und klein. Sie glitzert schön und hat einen goldenen Griff. Bücher oder eine Federtasche passen nicht hinein. Aber manchmal verstaut Marie ein Arbeitsblatt in ihrer Tasche. Wenn sie das Papier zu einer kleinen Kugel formt, dann findet es zwischen der Wimpernzange, der Puderdose, Glossy Lips und Rouge noch Platz.“

Für Außenstehende bieten die Blogs Einblicke in eine geheime Welt

Wie Frau Freitag unterrichtet auch Lois Fleves an einer ehemaligen Hauptschule, die in einem nicht ganz sorgenfreien Stadtteil liegt. Damit ist beiden Blogs eins gemein: Sie öffnen den Blick in eine weitgehend verschlossene Welt namens „Problemschule heute“.

Lois Fleves beschränkt sich aber nicht auf Notizen über Schüler und Kollegen, sie zeigt auf ihrer Seite Fotos von ersten Schultagen. Zwei Mädchen in Tiflis aus dem Jahr 1972 sind der neueste Blickfang. Mit Mama an der Hand und Schultüte geht es in den Ruhrpott von 1981, leicht gelbstichig. Schwarz-weiß mit Mickey-Maus-Shirt ging es 1989 in Ost-Berlin Richtung „Ernst des Lebens“.

Hoffnugnsfroh ins Schulleben ging es 1993 im Hunsrück. Lois Fleves sammelt für ihren Blog alte und neue Einschulungsfotos.
Hoffnugnsfroh ins Schulleben ging es 1993 im Hunsrück. Lois Fleves sammelt für ihren Blog alte und neue Einschulungsfotos.

© privat

Die Fotos stehen scheinbar beziehungslos zwischen den Texten, aber neulich sagte eine Freundin zu Lois Fleves: Toll, hier die Bilder voller Hoffnung und Aufregung – und daneben die Texte über das, was daraus wird. Lois Fleves lacht, so hatte sie es nie gesehen, aber irgendwie stimme es.

Sie selbst stammt aus Westdeutschland und erlebte in ihrer Schulzeit eine Art von Unterricht, die mit dem, was sie in Berlin macht, nichts zu tun hat. „Mit Pädagogik war damals nicht viel“, sagt sie, „da wurde Lehrstoff vermittelt“. Und wer Probleme machte, flog von der Schule. Heute sprechen Lehrer oft mit Schulpsychologen und Jugendamt, von 30 Schülern seien 15 schwierig, sagt sie. Und so seien die kleinen Blogtexte auch eine Art, Dampf abzulassen und Distanz zum Erlebten herzustellen. Aus unverschämt wird keck, aus dämlich lustig, aus tragisch ein Funken Hoffnung.

Ein Eintrag beginnt so: „Frau Prise möchte Lehrerin werden. An ihrem ersten Tag im Ausbildungsseminar für Lehramtsanwärter bekommt sie einen Brief überreicht. Darin steht der Name ihrer neuen Schule. Als Frau Prise den Brief öffnet und den Namen liest, fängt sie an zu weinen. ,Das ist das Schlimmste!‘, sagt sie und kann sich nicht mehr beruhigen.“ Frau Prise ist an dem Tag an dieselbe Schule beordert worden wie Lois Fleves, und die war von der Reaktion etwas beunruhigt. Inzwischen sei Frau Prise nicht mehr dabei. Sie habe ohnehin lieber Tierpflegerin werden wollen, sagt Fleves.

Ein Schulkoch bloggt übers Essen, täglich frisch und mit Bild

Über die privaten Bloggereien aus dem Lehrerzimmer hinaus gibt es an einigen Schulen auch öffentlich-offizielle Blogs, in denen Schüler Aufgaben finden und Lösungen posten, Schülersprecher kommunizieren darüber, oder der ganze Internetauftritt der Schule kommt als Blog daher.

Besonders appetitlich und quasi täglich frisch ist ein Blog aus Wedding, in dem Schulkoch Raik Weber aufwendig bebildert präsentiert, was in der Freien Schule am Mauerpark auf den Teller kommt. Zum Probieren hier ein Auszug aus dem Bloginhalt von Januar: „Spaghetti Napoli, Reibekäse, gemischter Salat, Rotkohlrouladen, Ofenkartoffeln, grüner Salat, Äpfel , Linsensalat, Gurkensalat, Tomate mit Rucola, Putengoulasch mit Rosenkohl und Kartoffeln ...“

Schwieriger wird die Suche nach Schüler-Blogs zum Schulalltag. Was für die Gruppe der Sekundarschüler laut Frau Freitag daran liegt, dass die schriftliche Form nicht deren Metier sei. Ihre Schüler hätten auch nie das stillgelegte Lehrerbewertungsportal spickmich.de benutzt. „Wenn die einem was sagen wollten, dann mitten ins Gesicht“, sagt Frau Freitag. Bei tumblr.com finden sich allerlei Einträge zum Thema Schule, die oft Selbstzweifel, Schulangst und Stress mit Lehrern thematisieren. „Ich hab so Angst, die Schule nicht zu packen“, steht da, oder „schon wieder voll versagt“ oder dieser trübselig-komische Minidialog:

„Lehrer: Du warst ja krank gestern. Was hat dir denn gefehlt?

Ich: Meine Motivation.“

Wenigstens reichte sie für das Internet, möchte man sagen – und hoffen, dass diese Texte helfen, Druck abzulassen.

Wo gebloggt wird - ein paar Tipps

Lois Fleves bloggt unter: notizenausdemblock.de.

Frau Freitag ist trotz Buchprojekten auch noch aktiv unter:

fraufreitag.wordpress.com.

Täglich frisch ist der Blog von Schulkoch Raik Weber unter:

schulesseninwedding.wordpress.com/

Einen Lehrer-Schüler-Blog unter dem Motto: "Ein Thema, zwei Meinungen und meistens kontrovers" gibt es unter: http://www.halbtags-denker.de/. Schüler Nico Mimik und Robert Rauh, Lehrer des Jahres 2013, streiten über alles Mögliche - und jeder kann sich einmischen!

Schüler und Lehrer der Friedrichshainer Hausburg-Schule schreiben auf hausburg.blogspot.de.

Blogs, auf denen länger nichts mehr los war, eignen sich noch für Ausflüge in die Vergangenheit – beispielsweise:

Fräulein Krise (eine Freundin von Frau Freitag) unter frlkrise.wordpress.com,

oder die bloggende Kunstlehrerin unter kunstlehrerin.wordpress.com/

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