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Wenige Stunden vor seinem Besuch in Zehlendorf: Gabriel spricht mit einem Azubi in einer Ausbildungseinrichtung für sozial benachteiligte Jugendliche.

© dpa

Sigmar Gabriel in Zehlendorf: Europa im Ratskeller

Die Zehlendorfer SPD lud ihren Bundesvorsitzenden zum Gespräch. Die Themen: Europa, Energiewende und soziale Gerechtigkeit. Berlins Wahlkampf spielte hingegen keine Rolle.

Ratskeller können merkwürdige Orte sein, vor allem, wenn sie so aus der Zeit gefallen wirken, wie in Zehlendorf. Man muss eine gut versteckte Treppe hinunter steigen und dann hinein in ein eher düsteres Verließ aus dunklem Holz laufen. Sigmar Gabriel, der Bundesvorsitzende der SPD, guckt ein bisschen verdutzt drein, wo er da am Montagabend hingeraten ist, als er sich an seinem Tisch niederlässt. Hinter ihm hängt ein schiefes Bild in Öl gemalt, vor ihm vollbesetzte Stühle mit Menschen, die das 60. Lebensjahr überschritten haben.

Es ist ja Wahlkampf in Berlin, und schließlich könnte es ja doch noch sein, dass diese Grünen-Herausforderin Renate Künast dem Regierenden Bürgermeister gefährlich wird. Oder dass, ja doch, womöglich die Berliner den Klaus Wowereit doch nicht mehr so super finden. Oder dass die CDU, aber lassen wir das. Jedenfalls wird der Gabriel ja was Ermunterndes zu sagen haben.

Sigmar Gabriel ist auf Einladung der Zehlendorfer SPD gekommen, und auf der Einladung standen drei Themen: Europa, Energiewende, soziale Gerechtigkeit. Geschätzte 80 Menschen drängeln sich also in diesem Keller und die Atmosphäre erinnert fast an die „Sit in's“ der Siebziger, nur dass niemand auf dem Boden sitzt und raucht, dafür aber wird Gabriel immer wieder unterbrochen.

Nach 38 Minuten hat der ein hervorragendes Europa-Referat gehalten, hat die Vorgeschichte der Finanzkrise erklärt, hat Griechenland und deren Probleme erörtert, auch die Probleme der Iren, der Spanier und der Portugiesen, hat Helmut Kohl gelobt und mit Pathos verkündet, die Deutschen seien davon abhängig, dass es den anderen in Europa gut gehe. Nun gut, Renate Künast hat er nicht erwähnt, auch nicht die Berliner CDU, aber er hat auf Frau Merkel geschimpft und gesagt: Die habe den Leuten was vorgemacht.

Im Saal stört sich niemand daran, dass selbst Klaus Wowereit nicht gelobt wird, die meisten hier wollen selbst kleine Referate los werden und machen Ausführungen zum Europagedanken, zum Personal, zur Kirchensteuer, zur SPD als Friedenspartei oder zur Pharmaindustrie. Gabriel bekommt trotzdem kurz die Kurve weg von Europa und hin zur sozialen Gerechtigkeit. Und siehe da, selbst die Referatsleiter im Publikum erwärmt das doch, die traditionellen Botschaften der SPD verleiten zum Applaus. „Arbeit muss einen Wert haben“, „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, „Wir haben auch Fehler bei der Agenda 2010 gemacht“, „Wir wollen den gesetzlichen Mindestlohn“ - lauten jetzt Gabriels Sätze, und das Zehlendorfer Publikum raunt erschrocken, als er erwähnt, dass ein Koch nur 850 Euro brutto verdiene.

Wenn Gabriel die vielen ehrgeizigen Zurufe zu viel werden, ruft er „Sorry, Sir“, aber trotz eines kurzen Ausflugs in die Pflegepolitik landet der ganze Saal doch wieder in Europa. Gabriel plädiert für eine Europäische Armee, sagt aber, das bedeute, dass nicht mehr das deutsche Parlament über Bundeswehreinsätze entscheide. „Das wäre schrecklich“, ruft eine Frau.

Nein, die Energiewende war kein Thema im Ratskeller. Berlins Wahlkampf auch nicht.

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