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Auslaufmodell. Zivildienstleistende sind ein fester Bestandteil des Sozialsystems.

© picture-alliance / dpa

Auslaufmodell: Sozialverbände fürchten die Zeit ohne Zivis

1900 Zivildienstleistende arbeiten in Berlin - noch. Sie sind fester Bestandteil des Sozialsystems. Ab dem Sommer fehlen sie in Pflege und Betreuung.

Berlin - Sie betreuen Behinderte, helfen in den Seniorenheimen und fahren Krankenwagen: Zivildienstleistende erbringen seit rund 50 Jahren ihren gesellschaftlichen Beitrag. Anfangs oft noch als „Drückeberger“ beschimpft, sind sie heute fester Bestandteil des Sozialsystems, auch in Berlin. Mit der angekündigten Aussetzung der Wehrpflicht wird jedoch auch der daran gekoppelte Wehrersatzdienst abgeschafft – am 31. Juni tritt der letzte „Zivi“ seinen Dienst an. Diese Woche werden 110 Jugendliche erwartet.

Insgesamt arbeiten derzeit nach offiziellen Angaben 1900 Zivildienstleistende in Einrichtungen wie dem Vivantes-Klinikum in Friedrichshain, dem Seniorenheim am Jungfernstieg oder den zahlreichen Kindertagesstätten der Stadt. Ende des Jahres, wenn die letzten Zivis ihre nur noch sechsmonatige Dienstzeit beenden, fallen diese Arbeitskräfte auf einen Schlag weg.

Die Antwort der Bundesregierung auf dieses Problem heißt Bundesfreiwilligendienst, eine Art Freiwilliges Soziales Jahr für alle im Alter von 16 bis 69 Jahren. Mit den Freiwilligen soll das entstehende Loch im Sozialbereich gestopft werden. „Wir erwarten rund 35 000 Freiwillige in ganz Deutschland“, sagt ein Sprecher des Familienministeriums. Doch selbst wenn diese optimistische Schätzung zutrifft, wird eine große Lücke bleiben, denn in Deutschland waren 2010 noch knapp 62 500 Zivildienstleistende im Einsatz. Mehr als 32 000 Stellen bleiben also unbesetzt oder müssen umstrukturiert werden – Ausfälle bei Betreuung und Pflege sind also programmiert.

Entsprechend besorgt blicken daher auch die Berliner Sozialverbände auf die Zeit nach dem Sommer. Beim Diakonischen Werk, einem der größten Träger von Zivildienststellen in Berlin und Brandenburg, macht man sich vor allem Sorgen um den professionellen Nachwuchs. „Viele junge Leute haben sich anschließend für eine Ausbildung in der Sozialarbeit entschieden, weil sie während des Zivildienstes gemerkt haben: Das ist was!“, sagt Christel Buschke von der Diakonie Berlin-Brandenburg.

Besonders stark werde es wahrscheinlich Brandenburg treffen, weil von dort ohnehin viele junge Leute abwandern und nun geburtenschwache Jahrgänge greifen. Die Diakonie hoffe zwar auf Unterstützung aus dem Bundesfreiwilligendienst, so Buschke, doch auch sie ist skeptisch: „Welcher junge Mensch Mitte zwanzig wird das denn freiwillig für ein Taschengeld machen?“

Noch kritischer sieht man es beim Deutschen Roten Kreuz (DRK). „Der Bundesfreiwilligendienst schafft eine Grauzone zwischen Ein-Euro-Jobbern und dem öffentlichen Sektor“, sagt Andreas Bode, Landesgeschäftsführer des DRK Berlin. Im Kern wolle die Bundesregierung damit vor allem das Bundesamt für Zivildienst am Leben halten. Besser wäre es gewesen die regional entwickelten Strukturen der freien Träger zu stärken, sagt Bode. So bilde das DRK in Berlin verstärkt feste Mitarbeiter aus, da die Zahl der Zivildienstleistenden in den vergangenen Jahren stetig abgenommen hat und ihre Dienstzeit verkürzt wurde. „Das ist bereits ein stetiger Anpassungsprozess“, sagt Bode.

Große Einrichtungen wie Krankenhäuser können den Wegfall der Zivildienstleistenden noch leichter kompensieren als kleinere, denen oftmals auch ein starker Träger fehlt. Probleme werde es allerdings weniger bei der Grundversorgung geben, sondern bei der „Menschlichkeit“, sagt Martina Richter von der Caritas in Berlin. „Die Zivis waren immer für das ,Mehr‘ da. Mal ein Buch vorlesen, sich unterhalten oder einfach nur zuhören.“

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