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Besonders im Bereich Wohnen und Wohnungsbau gehen die Meinungen über Schwarz-Rot auseinander.

© IMAGO/snapshot-photography/T.Seeliger

Stadtgesellschaft: So reagieren Verbände und Initiativen auf Schwarz-Rot in Berlin

Hoffnung auf der einen Seite, Skepsis und bisweilen Bestürzung auf der anderen: Die angekündigten Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD schlagen Wellen.

Die angekündigten Koalitionsgespräche zwischen CDU und SPD schlagen Wellen in der Berliner Stadtgesellschaft. Erste inhaltliche Grundlinien des zukünftigen Senats sind bereits erkennbar, auch wenn die Koalitionsverhandlungen noch ausstehen. Während Wirtschafts- und Immobilienverbände sich zurückhaltend optimistisch geben, zeigen sich Basis- und Klimainitiativen skeptisch.


Wohnen und Wohnungsbau

Die Fachgemeinschaft Bau (FG Bau) fordert, der neue Senat müsse sich klar zum Bauen bekennen. Die Fokussierung auf Wohnungsbau habe höchste Priorität, um den dringend benötigten Wohnraum zu schaffen. FG Bau-Präsident Klaus-Dieter Müller spricht sich zudem für Tempo bei der Verwaltungsreform aus, „die eine umfassende Digitalisierung sowie die Vereinfachung der Verwaltungsprozesse beinhalte.“ Schließlich müssten zudem die öffentlichen Vergabeverfahren verschlankt werden, die derzeit „langwierig, kompliziert und kostenintensiv“ seien.

Ähnliche äußert sich der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen, dem unter anderem der Immobilienriese Vonovia angehört. Pressesprecher David Eberhard schreibt auf Anfrage: „Berlin muss funktionieren. Ganz oben auf der Agenda muss dabei die Stärkung des Mietwohnungsbaus stehen.“

Mit Sorge blickt dagegen die Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins Ulrike Hamann auf die künftige Koalition. Sie beobachte eine „deutliche Nähe zur Immobilienwirtschaft“ und befürchte, „dass die Berliner Mieter:innen noch schutzloser dem Immobilienmarkt ausgeliefert sein werden“. Die CDU habe mieterschützende Gesetze bisher vor allem blockiert oder gegen sie geklagt, schreibt sie dem Tagesspiegel. Nun habe die CDU selbst ein Mietenkataster, die Scharfstellung des Mietwucherparagrafen, besseren Schutz gegen Zweckentfremdung sowie die Verhinderung von Abriss für Luxus-Neubau angekündigt. „Wir werden beide Parteien beim Wort nehmen“, kündigt Hamann an.

Die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen bangt derweil um die Umsetzung des Volksentscheides. Das von CDU und SPD in den Sondierungsgesprächen angekündigte „Vergesellschaftsrahmengesetz“ bezeichneten sie als „Luftnummer auf Kosten der Mieter:innen“ und als „juristischer Quatsch“. Berlin brauche kein Rahmengesetz, Artikel 15 des Grundgesetzes biete die notwendige Grundlage. Die Initiative beharrt darauf, dass der Auftrag zur Umsetzung des Volksentscheides auch weiterhin gelte.

Die Nachbarschaftsinitiative Bizim Kiez zeigt sich bestürzt über die Regierungsbeteiligung der CDU, die sie in einer Pressemitteilung „eine rückwärtsgewandte Partei“ „des Immobilienkapitals“ nennt. Der Mietendeckel sei insbesondere auf das Agieren Kai Wegners hin gekippt. 80 Prozent der CDU-Parteispenden sei daraufhin aus der Immobilienlobby gekommen. Darüber hinaus kritisiert die Initiative an der CDU: „Ihre rassistische Zuspitzung der Debatte über die Silvesterkrawalle und die Ankündigung der Abschaffung des Antidiskrimminierungsgesetzes nach einem Regierungsantritt sprechen eine offen reaktionäre Sprache.“


Klima und Verkehr

Auch die Initiatoren eines anderen Volksentscheids blicken skeptisch auf den sich bildenden Senat. Die Initiative Klimaneustart Berlin, die den Volksentscheid „Berlin 2030 klimaneutral“ am 26. März initiiert, lässt verlauten: „Wir freuen uns nicht auf die Aussicht einer Koalition aus CDU und SPD, da sich beide Parteien bisher nicht für eine ambitionierte Klimapolitik einsetzen und in der Vergangenheit direkte Demokratie nicht ernst genommen haben.“

Die Berliner Sparte des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) hofft, „dass die neue Koalition Berlin nicht hinter die anderen europäischen Metropolen, die gerade die Verkehrswende vollziehen, zurückfallen lässt“. Die politische Referentin Solveig Selzer erklärt, das Mobililitätsgesetz harre verzweifelt seiner Umsetzung, der Bau des Fahrrad-Vorrgangnetzes müsse deutlich beschleunigt werden. Um „noch mehr Tote im Verkehr zu verhindern“ brauche es den Umbau von Kreuzungen sowie die Ausweitung von Tempo 30. Den Ausbau der A100 hingegen bezeichnet Selzer als „Idee aus dem letzten Jahrhundert“.


Soziales

Ursula Engelen-Kefer vom Sozialverband Berlin Brandenburg ruft die neue Regierung dazu auf, an den von der rot-grün-roten Koalition getroffenen Zusagen festzuhalten: Speziell die Vergünstigungen im ÖPNV in Form des 29-Euro-Tickets sowie des 9-Euro-Sozialtickets müssten über den März hinaus fortgesetzt werden. Zudem brauche es eine bessere Ausstattung der Sozialämter, Wohngeldämter, Einwohnermeldeämter und Jobcenter. „Was Sozialleistungen anbelangt, sind die Anträge oft viel zu lange offen.“

Die Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin Gabriele Schlimper hofft auf einen alsbald handlungsfähigen Senat. Es fehle an preiswerten Wohnungen und sicheren Gewerberäumen für soziale Organisationen, erklärt sie auf Tagesspiegel-Anfrage. Nicht zuletzt brauche es eine effiziente Verwaltungsreform: „Denn der Bürokratiewust, mit dem alle, die hier leben und arbeiten tagtäglich konfrontiert sind, frisst Unmengen an Zeit und Energie.“


Wirtschaft

Der Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin Sebastian Stietzel zählt darauf, dass die beiden Koalitionspartner sich „pragmatisch auf die Eckpunkte der Zusammenarbeit einigen.“ Großbaustellen wie Verwaltungsreform, Wohnungsbau und Bildung duldeten keinen Aufschub. Stietzel betont, die Beteiligten müssten „den Mut haben, sich auf die Themen zu fokussieren, die für die Zukunftsfähigkeit der gesamten Stadt von überrangender Bedeutung sind.“

Die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) konstatieren wohlwollend die Einigkeit der beiden Parteien. „Wir stellen fest, dass die beiden Koalitionspartner in spe hier zum Beispiel in den wichtigen Bereichen Infrastruktur, Wohnungsbaupolitik, Industriepolitik und Digitalisierung in wesentlichen Punkten übereinstimmen,“ schreibt UVB-Geschäftsführer Christian Amsinck auf Anfrage. Auch schienen CDU und SPD ein „gemeinsames Verständnis“ für Bildungspolitik zu haben.


Junge Leute

Die SPD wird von jungen Berliner:innen aufgefordert, auch in einer Koalition mit der CDU an der erklärten Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre festzuhalten. „Die jungen Berliner:innen können und wollen nicht noch länger warten“, erklärt Tilmann Weickmann, Geschäftsführer des Landesjugendrings Berlin. „Sie müssen bei den Abgeordnetenhauswahlen 2026 endlich teilnehmen können.“ Bei diesem Thema habe die CDU bislang immer gemauert. Unter den 18- bis 24-Jährigen erhielt die CDU bei der Abgeordnetenhauswahl lediglich 12 Prozent der Zweitstimmen.

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