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Berlin: Tonspuren der Erinnerung

Zwei Filmemacher dokumentieren den Mauerbau mit Amateuraufnahmen – und befragen die Kameraleute von damals als Zeitzeugen

Rainer Just sitzt im Scheinwerferlicht auf einem schmalen Stuhl in der Kapelle der Versöhnung, an der Wand hinter ihm zeichnen sich gitterhafte Schatten ab, die Kamera läuft. Nebenan versucht der Tontechniker verzweifelt, die Nebengeräusche der Tram herauszufiltern, die im Hintergrund über die Bernauer Straße rumpelt. Das Rumoren der wiedervereinten Stadt soll nicht stören, wenn Just sich an die Zeit der Teilung erinnert.

In seiner Jugend war der gebürtige Berliner leidenschaftlicher Schmalfilmer und machte einzigartige Aufnahmen von der Mauer. Damit die Bänder mehr werden als stumme Zeugen des geteilten Berlins, soll Just die Aufnahmen jetzt kommentieren. Denn für die Filmemacher Gerald Grote und Claus Oppermann, die heute die Kamera auf Just richten, ist die Zeit von 16-Millimeter und Super-8 noch nicht vorbei. Die beiden Produzenten von „Einfallsreichfilm“arbeiten derzeit in Kooperation mit dem Tagesspiegel an dem Kinostreifen „Mauerhaft“, der fast ausschließlich aus gesammeltem Amateurfilmmaterial bestehen wird.

Dutzende sind dem Aufruf im Tagesspiegel gefolgt und haben alte Schmalfilmrollen in Weißblechdosen aus ihren Kellern oder von Dachböden hervorgekramt und eingesendet. „Wir haben jetzt insgesamt 35 bis 50 Stunden Filmmaterial zusammen“, sagt Oppermann. Im fertigen Film werden die Amateurfilmer wie Just dann ihre alten, zumeist unvertonten, mit ihren Erinnerungen ergänzen. „Einige blühen in diesen Interviews richtig auf und erzählen lebhaft aus jener Zeit, ein Gespräch mit einer älteren Frau ging mehr als 70 Minuten“, sagt Oppermann. „Das können wir im fertigen Film natürlich leider nicht alles zeigen.“

Rainer Just geht es ebenso. Für ein eigenes Filmprojekt drehte er 1978 eine Fahrt entlang des Todesstreifens an der Bernauer Straße. „Das war ja damals eine Schlafstraße ohne Gegenverkehr“, erinnert sich Just und grinst. So konnte er in langsamer Fahrt Mauer und Grenzanlagen filmen. Auf seinen Aufnahmen ist auch noch die Versöhnungskirche zu sehen, in deren Gemeinde Just später arbeitete. Als das Gotteshaus dann 1985 von der DDR gesprengt werden sollte, stürmten aufgeregte amerikanische Reporter in sein Büro, erzählt Just. „Ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch gar nichts davon. Auch der Pastor der Gemeinde war damals auf einer Reise in den USA und erfuhr von der Sprengung seiner Kirche quasi im Frühstücksfernsehen.“ Dass der Sprengmeister des 75 Meter hohen Turms ein gläubiger Christ war, dessen Ausreiseantrag aus der DDR erst genehmigt werden sollte, wenn er zuvor die Versöhnungskirche sprengt, wie Just erzählt, gibt der Zerstörung des Bauwerks einen zynischen Beigeschmack.

Es sind Erinnerungen wie diese, die den Film so berührend machen. Die Amateuraufnahmen bilden eine wertvolle Ergänzung zu den altbekannten Filmsequenzen, die jedes Jahr in den zahlreichen Dokumentationen zum Tag der Deutschen Einheit wiederholt werden. Denn es sind Aufnahmen, die man so noch nicht gesehen hat. „Ein Berliner hat mit versteckter Kamera eine komplette Grenzkontrolle gefilmt, sogar mit Ton“, erzählt Grote. Ein Anderer spendete den Filmemachern Bänder, die er zufällig zusammen mit einem alten Projektor auf dem Flohmarkt gekauft hat. Darauf filmt ein Unbekannter Bauarbeiten an der Mauer, die in den Tagen nach dem 13. August 1961 entstanden sein müssen. „Der filmt dem Bausoldaten quasi auf die Zementkelle“, sagt Grote.

Der fertige Film wird erstmals auf der Gedenkfeier zum Tag des Mauerbaus am 13. August gezeigt. Neben Bundeskanzlerin Merkel und Bundespräsident Wulff werden rund 30 000 Besucher an der Bernauer Straße erwartet, die für die Veranstaltung komplett gesperrt wird. Anschließend wird der Film in ausgewählten Berliner Kinos laufen und auf DVD als Sonderedition im Tagesspiegel-Shop erhältlich sein. Sebastian Scholz

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