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Gleiten wie im Fluge. Wenn der Wind stark genug pustet, hebt der elfjährige Michael Soumbatov auch schon mal ein paar Zentimeter ab.  

© Thilo Rückeis

Wintersport auf dem Tempelhofer Feld: Snowkiter wollen bleiben

Das Tempelhofer Feld ist für Wintersportler ein perfekter Treffpunkt in der Stadt. Für ihr Vergnügen müssten sie sonst weit fahren. Jetzt sorgen sie sich, dass sie vertrieben werden.

Dem Schnee und den zehn Grad minus zum Trotz steigen die Drachen an diesem Wochenende über dem Tempelhofer Feld in die Höhe – noch. Auf dem Gelände, so groß wie der New Yorker Central Park, schnallen sich Kitesurfer Ski oder Snowboard an die Füße und sausen mit ihren Drachen über die schneebedeckten Wiesen. „Snowkiten“ nennen sie das. Daneben testen Gleitschirmflieger ihre Ausrüstung, zwei Langläufer bahnen sich den Weg durch den Schnee und ein junger Mann zieht ein Kind auf dem Schlitten hinter sich her. Dazu sieht man ein paar Jogger und Spaziergänger, die auf dem Schnee fast ausrutschen. Auf dem Tempelhofer Feld ist trotz Eiseskälte einiges los.

Sollte auf dem Areal gebaut werden wie vom Senat geplant, würden auf der Wiese der Snowkiter Wohn- und Gewerbeflächen entstehen. Die Drachenfreunde brauchen viel Platz, schon um den vielen Fußgängern ausweichen zu können. Viele haben deshalb beim Volksbegehren zur Erhaltung des freien Flughafengeländes unterschrieben. Sie nutzen das Feld nicht nur im Winter. Liegt kein Schnee, tauschen sie Ski gegen Skateboard. Andere schrauben sich ein Windsurfsegel aufs Brett und rollen über die Wiese.

Wir haben drei Berliner befragt, die auch bei Minusgraden den Sonnabend auf dem Tempelhofer Feld verbrachten.

Michael Soumbatov, 11 Jahre

Er legt sich zuerst auf den Rücken, zieht an den bunten Schnüren seinen Drachen nach oben. Der 21 Quadratmeter große Kite für 2500 Euro bläst sich langsam auf. Erst wenn er perfekt in der Luft steht, kann sich Michael Soumbatov mit seinem Snowboard aufrichten. Dann gleitet er über die Wiese. Heute fährt er nicht so schnell wie sonst, der Wind ist zu schwach. Hat er genug Schwung, hebt er mit seinem Brett ein paar Zentimeter vom Boden ab.

Michael ist erst elf, aber schon jetzt ein leidenschaftlicher Kiter. Er kitet auf dem Wasser und im Schnee, im Sommer mit einem speziellen Skateboard auf der Wiese. Vor vier Jahren hat er damit angefangen. Auf seinem eigenen Blog postet er Trainingsbilder. Er sei schon ein bisschen verrückt, sagt sein Vater und lacht. Mit ihm kommt Michael fast jedes Wochenende zum Tempelhofer Feld. Fünf, sechs Stunden bleiben sie dann hier. Die Picknickdecke haben sie schon ausgebreitet, zwei Thermoskannen mit Tee stehen darauf. Kalt wird ihnen nicht so schnell. „Kiten ist anstrengend, da bleibt man warm“, sagt der Vater. Ein Schweißtropfen kullert seine Backe herunter.

Alexander Miehlke, 43 Jahre

Als er am Samstagmorgen seine alten Skier aufs Auto schnallt, schaut sein Nachbar erstaunt – und schüttelt den Kopf, als Alexander Miehlke erzählt, dass er damit zum Tempelhofer Feld fahre.

Seit etwas mehr als drei Jahren kommt Miehlke zum Kiten auf den ehemaligen Flughafen. Eben seit das ehemalige Flugfeld für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Beim Volksbegehren gegen die Bebauung des Geländes hat er unterschrieben. „Selbstverständlich“, sagt er. Seine Lippen zittern, während er spricht. „Wenn ich mich nicht bewege, wird mir sofort kalt.“

Er trägt einen Helm, Skijacke und -hose, eine Sonnenbrille. Reste von Sonnencreme blitzen auf Wangen und Nase auf. Man muss sich schützen. Wenn es sehr windig ist, fährt er bis zu 50 Stundenkilometer schnell. „Wenn hier ordentlich Wind geht, kommt schon ab und an mal ein Krankenwagen“, erzählt er. Manche Snowkiter springen bis zu fünf Metern hoch. Und auf Schnee fällt man härter als im Wasser. Auf dem Schnee ist es dafür einfacher, das Gleichgewicht zu halten. Dennoch surft Miehlke am liebsten im Meer, wie viele der Kitesurfer am Tempelhofer Feld.

Knut Schäfer, 49 Jahre

Auch er lenkt seinen Drachen durch die Luft, trägt dabei aber weder Ski noch Snowboard. Knut Schäfer ist Gleitschirmflieger und kommt zum Tempelhofer Feld, um seine Ausrüstung zu testen. „Ein bisschen rumspielen“ nennt er das. Mit seinem Gleitschirm fliegt er besonders gern im Winter. Im Frühjahr seien die Winde häufig stark und unberechenbar, da passierten viele Unfälle. Im Winter sei es ruhiger und sicherer. Die Kälte macht ihm nichts aus. „Man muss sich nur dick genug anziehen“, sagt er. Heute trägt er fünf Schichten. Mit einem Gurt um die Hüfte, an dem der Schirm befestigt ist, tippelt er über die Wiese. Es sieht aus, als würde er einen überdimensionalen Drachen steigen lassen.

Wenn Schäfer wirklich fliegen will, fährt er auf einen alten Militärflugplatz nach Jüterbog, 70 Kilometer südlich von Berlin. Wie beim Segelfliegen werden die Paraglider dort mit einer Seilwinde nach oben gezogen. Bis zu 2000 Meter hoch können sie so fliegen. „Da braucht man keine Berge“, sagt Schäfer.

Wer den Snowkitern zuschauen oder sich selbst an den Drachen hängen will, sollte das am besten an diesem Sonntag tun. Es bleibt sehr kalt und sonnig. Anfang der Woche soll das Termometer wieder Plusgrade anzeigen. Der Schnee ist dann vielleicht schon wieder weg.

Eva Riedmann

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