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Brandenburg: Boot und Spiele

In Rheinsberg entsteht ein großes Hafendorf - das geht nicht ohne Reibung ab zwischen Einheimischen und Zugezogenen

Rheinsberg – Wer in Rheinsberg die Dr.-Martin-Hennig-Straße sucht, sollte sich zweimal überlegen, ob er bei den Einheimischen nachfragt. Der alte Mann, der an der Ecke Pfifferlinge verkauft, hat keine Ahnung. Der Bratwurstverkäufer kann auch nicht helfen. Die Dame an der Bar quittiert die Bitte mit einem barschen „Nee!“ und dreht dem Fremden die Schulter zu. Bei der Touristeninformation, die in einem Verschlag mit DDR-Charme residiert, stellt sich dann heraus, dass es sich bei der gesuchten Adresse um die Hauptverkehrsstraße des Ortes handelt.

Das Anwesen der preußischen Königssöhne Friedrich und Heinrich ist ein Kleinod, der Park wie aus Tucholskys Bilderbuch für Verliebte. Doch jenseits des Schlosses und der Oper gehen die Uhren noch anders. Zum Beispiel im optisch ansprechenden Restaurant „Seehof“, wo der Gast auf der ersten Seite der Speisekarte gewarnt wird: „Bei mehreren gleichzeitig eingehenden Bestellungen kann es zu einer kurzen Wartezeit (45 Minuten) kommen“. Wer seinen Tag nicht in solchen Dimensionen plant, dessen Geduld ist schon erschöpft, bevor überhaupt eine Kellnerin auftaucht. So lernt man dann auch die Imbiss-Infrastruktur des Ortes kennen…

Lange werden die Rheinsberger in ihrer Mischung aus Ruhe und Raunzigkeit nicht mehr verharren können. Denn vor ihren Toren, direkt am Ufer des Grienericksees, wird ein Projekt Realität, das revolutionäre Auswirkungen haben wird. Wenn das „Hafendorf Rheinsberg“ im kommenden Jahr seine volle Größe erreicht, stehen den 5000 Bewohnern dauerhaft 1000 Feriengäste gegenüber.

Wer in diesen Sommertagen über das Gelände flaniert, sieht Autokennzeichen aus allen Bundesländern. Sogar polnische und niederländische Wagen parken vor den Türen der Holzhäuser. Auf einer Fläche von 130000 Quadratmetern entstehen 192 Ferienwohnungen, ein Hotel mit 320 Zimmern sowie eine Veranstaltungsarena, in der bis zu 1200 Personen Platz finden werden. Geistiger Vater des Mammutprojektes ist Herbert Harm, ein Architekt, den es nach der Wende aus Kiel ins Ruppiner Land zog, der am Grienericksee das Gelände eines ehemaligen FDGB-Ferienheimes entdeckte.

Dass er die Abrissgenehmigung für das leer stehende Funktionärshotel erwirken konnte, dass er mitten im Naturschutzgebiet ein künstliches Hafenbecken ausheben durfte, dass die Banken mitspielten, grenzt fast an ein Wunder. Die zwei- und dreistöckigen Fertighäuser, die nach einem patentierten System des Architekten ohne Steine errichtet werden, sind sicher nicht jedermanns Sache – denn die schmalen Reihenhäuser garantieren einen intensiven Kontakt zum Nachbarn. Das scheint Yacht- und Jollenbesitzer wenig zu stören. „Schließlich liegen die Boote im Hafen ja auch Seite an Seite“, sagt Jaska Harm, Sohn des Architekten, der den Verkauf der Häuser leitet.

Wer es sich leisten kann, in seiner Freizeit mit dem eigenen Boot über die Seen zu schippern, nimmt gerne auch noch ein Urlaubsdomizil mit privatem 13-Meter-Steg dazu. Von den günstigen Häusern für 164000 Euro rund ums Hafenbecken sind jedenfalls fast alle schon verkauft, von den exklusiven Inselhäusern auf den künstlichen Landzungen mitten im Wasser (und trotzdem mit PKW-Parkplatz vor der Tür) sind noch viele zu haben. Kostenpunkt: 250000 Euro.

Leute, die sich das leisten können, haben Ansprüche. Sie wollen mit gut sortierten Supermärkten, anspruchsvollen Restaurants versorgt werden, und mit Zeitschriftenläden, die die überregionale Presse führen. Gleich vor ihrer Kajütentür bekommen sie ein breites Kulturangebot: Denn die Ifa-Gruppe, die das Hotel betreiben wird, hat sich verpflichtet, auch die „Arena“ zu bespielen. René Meyer-Brede ist für das künstlerische Konzept zuständig. Ihm schwebt eine Kooperation mit den örtlichen Veranstaltern vor, der „Kammeroper Schloss Rheinsberg“ einerseits und der Landesmusikakademie andererseits. Aber auch für Musicals, Bälle und Sportveranstaltungen ist Platz.

Neben der Kaufkraft, die die Gäste und Hausbesitzer des Feriendorfs mitbringen werden, haben die Rheinsberger aber auch noch etwas ganz Handfestes von dem Großprojekt: Dort, wo sich das Hafenbecken zum Grienericksee öffnet, wird es einen neuen, für jeden offenen Badestrand geben.

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