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Brandenburg: Bundeswehr in Erklärungsnot

Im Verfahren über das Bombodrom zweifelt das Potsdamer Verwaltungsgericht am Lärmschutzgutachten der Luftwaffe

Potsdam/Wittstock - Im seit 15 Jahre dauernden Streit um den früheren russischen Bombenabwurfplatz Wittstock droht der Bundeswehr eine neue Niederlage. In der mit Spannung erwarteten Verhandlung vor dem Potsdamer Verwaltungsgericht meldete die 3. Kammer unter der Vorsitzenden Richterin Beate Vondenhof am gestrigen Dienstag deutliche Zweifel an, ob das Verteidigungsministerium bei der im Jahre 2003 vom damaligen Minister Peter Struck (SPD) erteilten Betriebserlaubnis für das „Bombodrom“ die Lärmschutz-Interessen von Anrainern sowie die Planungshoheit von Kommunen angemessen berücksichtigt habe. Das Urteil wurde für Dienstagabend erwartet. Es könnte das Aus für die Pläne bedeuten. Zumindest hatte Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) im Vorfeld für diesen Fall angedeutet, nicht in die nächste Instanz zu gehen.

Nicht nur das Medieninteresse in dem Prozess von Bombodrom-Anrainern „gegen die Bundesrepublik Deutschland“ war groß. Rund 150 Vertreter der ältesten Brandenburger Bürgerinitiative „Freie Heide“, die schon seit 1992 gegen den Weiterbetrieb des 12 000 Hektar großen Truppenübungsplatzes ringt, verfolgten die Verhandlung im Sitzungssaal des Brandenburger Verfassungsgerichtes. Erschienen war auch Clemens Appel, Staatskanzleichef der Landesregierung von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), die die Klagen gegen das Bombodrom unterstützt. Verhandelt wurde über drei aus 20 Verfahren ausgewählte Musterklagen: die der Müritz-Gemeinde Lärz (Mecklenburg-Vorpommern), die eines Hotels in Lärz und die einer Putenfarm in Gühlen-Glienicke bei Rheinsberg. Alle liegen unmittelbar am Bombodrom, wo die Luftwaffe 1700 Einsätze pro Jahr fliegen will. Pro Einsatz wird jeweils mit fünf Anflügen eines Kampfjets gerechnet. Geplant sind auch Tiefflüge in rund 150 Metern Höhe. Für die Luftwaffe, die den Platz unter Verweis auf zunehmende internationale Einsätze beansprucht, ist der Streit offenbar Chefsache. Jedenfalls nahm auch der Luftwaffeninspekteur, der Drei-Sterne- General Klaus Peter Stieglitz, an der Verhandlung teil – die augenscheinlich nicht nach seinen Erwartungen ablief.

Zwar hatte das Verteidigungsministerium das Gericht im Vorfeld mit einem ein neuen Lärmschutzgutachten überrascht, dass die Belastungen für Putenfarm, Hotel und Gemeinde als zumutbar einstufte. Doch Richterin Vondenhof zeigte sich davon kaum beeindruckt. Vielmehr deutete sie an, dass frühere Verfahrensfehler damit nicht geheilt werden könnten.

Vor allem aber machte Vondenhof, die die Vertreter der Luftwaffe mit präzisen Detail-Fragen zu den vorliegenden Planungen, zu Flugkorridoren und Jet-Geschwindigkeiten in Erklärungsmühen brachte, auf einen deutlichen Widerspruch aufmerksam: Im aktuellen Lärmschutzgutachten der Bundeswehr liege die nächste Tiefflugroute nur einen Kilometer neben dem Ort Ichlim. Beim früheren Lärmgutachten seien es aber noch 2,2 Kilometer gewesen. Da mussten die Luftwaffenvertreter passen – sie baten um Beratungszeit. Die Verhandlung wurde unterbrochen. Kläger-Anwalt Rainer Geulen war zuversichtlich, dass das Verwaltungsgericht die Betriebserlaubnis nicht freigibt – und die Bundeswehr danach das Bombodrom aufgibt. „Wir können nicht in 15 Jahren alle Prozesse gegen die Bundeswehr gewinnen, und nichts passiert.“

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