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Brandenburg: Das Inferno von Elsterwerda

1997 explodierte ein Zug. Nun müssen zwei Männer vor Gericht

Von Sandra Dassler

Elsterwerda. Zwölf Minuten vorher hatte ein vollbesetzter Personenzug die Station verlassen. So war der Bahnhof Elsterwerda menschenleer. Ein glücklicher Zufall, denn gegen 6. 40 Uhr raste an diesem 20. November 1997 ein Güterzug mit 22 Tankwagen, die Benzin enthielten, in den Bahnhof der südbrandenburgischen Kleinstadt ein. Der Zug fuhr etwa 90 Stundenkilometer – mehr als das Doppelte der erlaubten Geschwindigkeit – und entgleiste.

Als der erste Kesselwagen explodierte, soll sich nach Augenzeugenberichten ein mehr als 50 Meter hoher Flammenball gebildet haben. Die Männer der Freiwilligen Feuerwehr eilten herbei, da ging der zweite Kesselwagen hoch. Zwei Feuerwehrmänner starben in dem Flammeninferno, sieben weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Die Stadt entging nur knapp einer Katastrophe.

Die Schuld an dem Unfall tragen nach Ansicht der Cottbuser Staatsanwaltschaft vor allem der Lokführer des Unglückszuges und ein Zugvorbereiter aus dem Bahnhof Berlin-Grünau. Die beiden Männer müssen sich ab dem morgigen Freitag vor dem Cottbuser Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft klagt sie unter anderem der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung an. Die 2. Große Strafkammer hat bislang sechs Verhandlungstage angesetzt, der Prozess wird deutschlandweit mit Spannung erwartet.

Das liegt nicht nur an der Schwere des Unfalls, sondern auch an der Kompliziertheit der Schuldfrage. Der Lokführer, ein heute 38-jähriger Mann aus Hoyerswerda, hatte nämlich keineswegs die vorgeschriebene Geschwindigkeit ignoriert, sondern diese nicht reduzieren können, weil die Bremsen nicht funktionierten. Die Ermittler waren zunächst von einem Versagen des Zugbremssystems ausgegangen. Doch wenig später konnte das als Ursache ausgeschlossen werden. Der Triebfahrzeugführer gab daraufhin zu, bei einem Lokwechsel in Berlin das Öffnen der Bremsventile vergessen zu haben.

Da dies aber bei einer ordnungsgemäß durchgeführten Bremsprobe, die bei jedem Lokwechsel erfolgen muss, bemerkt worden wäre, geriet auch der zuständige Zugvorbereiter aus Berlin in das Visier der Ermittler. Laut Anklage hatten er und der Lokführer bei der Bremsprobe ordnungswidrig gehandelt: Als die Bremsen aufgrund der nicht mit der Lokomotive verbundenen Luftleitung angelegt blieben, löste der Zugvorbereiter die Bremsen an jedem einzelnen Wagen per Hand. Das ist erlaubt, wenn hinterher eine zweite Bremsprobe durchgeführt wird. Doch dazu kam es nicht. Warum – das vor allem wird nun vor Gericht zu klären sein. Gewerkschafter hatten seinerzeit unter anderem „Personalmangel und zu enge Dienstpläne“ beklagt. So hätte der Zugvorbereiter zeitgleich mehrere Züge abfertigen müssen.

Im Vorfeld des Prozesses, der fast genau fünf Jahre nach dem Unglück von Elsterwerda stattfindet, gab es bereits mehrere zivilrechtliche Verhandlungen. Dabei wurden die Deutsche Bahn Cargo GmbH und der 44-jährige Zugfertigsteller zu Schadensersatzleistungen an die Hinterbliebenen der Opfer und die verletzten Feuerwehrmänner verurteilt. Das Cottbuser Landgericht hatte ursprünglich die Klage nur für den Berliner Zugfertigsteller zugelassen, muss aber nun nach einem entsprechenden Beschluss des Oberlandesgerichts auch dem Hoyerswerdaer Lokführer den Prozess machen.

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