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Brandenburg: Das Schweigen am Tatort

Von unterlassener Hilfeleistung will in Potzlow niemand etwas wissen – es wird aber zugegeben, dass Marinus’ Mörder rechtsextrem sind

Von Claus-Dieter Steyer

Potzlow. Die kleine Gemeinde Potzlow in der Uckermark denkt um: Zwei Wochen nach dem Fund der Leiche des 17-jährigen Marinus Schöberl in der Jauchegrube des ehemaligen Schweinestalls hängen nun Zettel am Ortseingang und in den Schaukästen, auf denen tiefe Trauer bekundet wird über den Tod des Jugendlichen aus Gerswalde, der von „Rechtsextremen bestialisch ermordet“ worden sei. Zuvor hatten sich viele der 560 Einwohner gegen den Verdacht gewehrt, die drei mutmaßlichen Täter aus Potzlow seien rechtsextremistisch. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft in Neuruppin hatte sofort nach Bekanntwerden des Mordes von „eindeutigen Hintergründen“ gesprochen. Marinus musste demnach sterben, weil er mit blondierten Haaren und Hip-Hop-Hosen nicht den Vorstellungen der Täter entsprach.

Viele Menschen sind in Potzlow nicht unterwegs. Wer sich ihnen als Journalist vorstellt, hat schlechte Karten. Einige Einwohner meckern über die Presse. Die meisten winken schweigend ab. Das liegt offenbar nicht allein am Ärger über viele bohrende Fragen zum Leben in dem recht abgeschieden liegenden Dorf. Ein Kamerateam soll den Kindern und Jugendlichen, die die Leiche in der Jauchegrube fanden, 450 Euro für ein Nachstellen der Situation geboten haben. „Ihr werft alle Einwohner in einen Topf, nun drehen wir mal den Spieß um“, sagt eine junge Frau an der Bushaltestelle.

Auch die Suche der Staatsanwaltschaft nach möglichen Mitwissern und Zeugen der Tat regt die Potzlower auf. „Da bin ich wirklich auf die Beweise gespannt“, sagt Petra Freiberg, die Chefin des örtlichen Jugendzentrums. „Bis jetzt sind das doch alles vage Vermutungen, die aber unseren Ort und die Umgebung stigmatisieren.“ Wie berichtet, geht Oberstaatsanwalt Gert Schnittcher von fünf bis sechs Personen aus, die zumindest vom Beginn der Misshandlungen gewusst haben müssen. „Marinus’ Leidensweg begann in zwei Wohnungen im Ort“, sagte Schnittcher. Am Tatort selbst, wo die in Haft sitzenden Tatverdächtigen den Jugendlichen zuerst übel zurichteten, quälten, ihn mit einem Stein erschlugen und schließlich verscharrten, sollen keine Zeugen gewesen sein. Noch ermittelt die Polizei in Potzlow. Eine mögliche Anklage gegen Mitwisser könnte sich auf unterlassene Hilfeleistung oder psychologische Tatbeteiligung erstrecken.

Sozialarbeiterin Petra Freiberg hofft, dass nicht nur Potzlow, sondern die ganze Gesellschaft nicht schnell wieder zur Tagesordnung übergehen. „Wir müssen einfach über den Verfall unserer Grundwerte nachdenken. Da sind alle gefragt.“ Sie stimme Innenminister Jörg Schönbohm zu, der in einem Interview mit dem Tagesspiegel von einem „unglaublichen Verrohungspotenzial“ gesprochen habe. „Wenn er das allerdings nur dem Erbe der DDR zuweist, macht er sich die Erklärung zu leicht“, sagte Petra Freiberg. Gerade die Uckermark leide unter einer hohen Arbeits- und einer gewissen Perspektivlosigkeit. Wenn jetzt endlich von der Landesregierung eine Diskussion angeschoben werden würde, sei der unfassbare Tod von Marinus wenigstens nicht ganz umsonst.

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