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Brandenburg: Den Eltern von Dennis hätte geholfen werden müssen

Sandra Dassler

Es kann keinen Freispruch geben: Nicht für eine Mutter, die ihr Kind quält, dahinsiechen und sterben lässt und es dann in einer Tiefkühltruhe versteckt. Nicht für eine Schulbehörde, die sich jahrelang mit Erklärungen zufrieden gibt, denen zufolge das Kind im Krankenhaus sei, sich aber nie ein entsprechendes Attest vorlegen lässt. Nicht für eine Stadtverwaltung, die sich entlastet glaubt, weil man einer Familie, in der es erkennbar jede Menge Probleme gab, ja immer Hilfsangebote gemacht habe. „Wenn sie die nicht annehmen, können wir auch nichts mehr tun“, sagte die Cottbuser Oberbürgermeisterin. Basta.

So wenig wie auch nach den ersten vier Tagen im Prozess gegen die Eltern von Dennis zu begreifen ist, wie das alles möglich sein konnte, so wenig hat bislang die öffentliche Diskussion darüber erbracht, wie ähnlichen Fällen vorgebeugt werden kann. Das liegt vor allem an der unsäglichen Ideologisierung des Themas – zuletzt aufgeflammt durch die These des brandenburgischen Innenministers Jörg Schönbohm (CDU) von einer Proletarisierung der Ostdeutschen durch den SED-Staat.

Die Fronten sind klar. Die einen weisen jede Verknüpfung der Frage nach den Gründen mit typisch ostdeutschen Mentalitäten und Gegebenheiten empört zurück: „So etwas gibt es schließlich auch im Westen.“ Die anderen schreien auf, wenn konkrete Kontrollmechanismen vorgeschlagen werden wie beispielsweise die Kopplung sozialer Leistungen an jährliche Pflichtuntersuchungen der Kinder: „Das ist ja wie in der DDR. Am Ende wird noch der Überwachungsstaat mit Mütterberatung wieder eingeführt.“

Diese Fortsetzung des Kalten Kriegs auf einem gänzlich unpassenden Terrain erschwert, ja verhindert oft die sachliche und konkrete Ursachenforschung, vor allem aber die Suche nach Handlungsalternativen. Die Erkenntnis einer nicht wahrgenommenen Verantwortung ist aber die wichtigste Voraussetzung dafür, sich künftig verantwortungsbewusster zu verhalten. Natürlich neigen Menschen angesichts unvorstellbar grausamer Taten dazu, schnell nach Schuldigen zu suchen. Das Unerklärbare soll erklärbar gemacht werden – auch wenn es letztlich vielleicht doch nur mit der Psyche der Täter erklärt werden kann. Die wird man im Einzelfall nur selten heilen können. Was aber beeinflusst werden kann, ist das öffentliche Bewusstsein dafür, dass man auch Menschen, die Hilfsangebote ablehnen, nicht aufgeben darf.

Nein, einen Freispruch von Mitverantwortung kann es in all diesen Fällen nicht geben. Nicht bei Dennis aus Cottbus, nicht bei Jessica aus Hamburg – und auch künftig werden Kinder leiden, weil ihre Eltern kriminell sind. Oder psychisch gestört. Oder einfach nur überfordert. Wenn ihre Umwelt lediglich mit dem in Ost und West gleichermaßen verbreiteten Erklärungsmuster „Ist eben Milieu“ reagiert, sind auch diese Kinder schon verloren.

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