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Brandenburg: Der Wahnsinn mit den Rindern

In einem offiziell nicht mehr existierenden Schlachthof im Oderbruch verschwanden 118 Kühe. Wohin, weiß keiner

Von Sandra Dassler

Letschin. Der Bauer schüttelt den Kopf: „Ich weiß gar nichts. Bei uns im Oderbruch kümmert man sich wenig darum, was nebenan vor sich geht.“ Der Mann wohnt in Steintoch, einem Ortsteil der zwischen Seelow und Bad Freienwalde gelegenen Gemeinde Letschin. Vom neuen BSE-Skandal hat er schon gehört und gleich seine Frau gefragt: „Ob hier im alten Schlachthaus alles mit rechten Dingen zugegangen ist?“ Aber mehr will er wirklich nicht sagen; höchstens noch: „Da wird ja Steintoch jetzt berühmt.“

Das könnte durchaus sein, sagt Ulrich Scherding, Sprecher der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder), die seit gestern gegen eine Firma in Steintoch ermittelt, weil dort die Spur von 118 Rindern abrupt endet. „97 davon waren älter als zwei Jahre. Sie hätten nach einer Schlachtung zwingend auf BSE getestet werden müssen“, sagt der Abteilungsleiter Verbraucherschutz im Potsdamer Agrarministerium, Günter Hälsig. „Aber nach den Unterlagen geschah dies nicht. Mehr noch: Theoretisch können die Tiere sogar noch am Leben sein. Möglicherweise haben wir es hier mit kriminellen Machenschaften zu tun. Deshalb ermitteln jetzt die Staatsanwaltschaft und das Landeskriminalamt.“

Allzu weit waren die Ermittler bis Freitagabend noch nicht gekommen. Da der Betreiber des betroffenen Betriebes bestreitet, die Tiere geschlachtet zu haben, bleibt der Fall zunächst höchst sonderbar. Wie kam die Meldung über die Schlachtung dann in das „Herkunfts- und Informationssystem Tiere“ (HIT)? Und – falls sie tatsächlich nicht geschlachtet wurden – wohin wurden sie gebracht? Immerhin weiß man im Agrarministerium inzwischen, woher die Tiere kamen: aus zahlreichen Betrieben in Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. In den nächsten Tagen werden dort Ermittler prüfen, ob Tiere mit den Ohrmarken der angeblich im Oderbruch geschlachteten Rinder in den Ställen stehen.

Den Zuständigen im brandenburgischen Agrarministerium bereitet die ominöse Schlachtung von Steintoch das größte Kopfzerbrechen. Die meisten anderen Fälle der insgesamt 236 fehlenden BSE-Tests konnten inzwischen geklärt werden. Einige stellten sich als schlichte Erfassungsfehler heraus. In anderen Fällen schluderten die Tierärzte. So wurden im Landkreis Dahme-Spreewald einige Tiere ohne Test geschlachtet, weil ihr Alter nicht beachtet wurde. Andere starben genau an ihrem zweiten Geburtstag. Laut Gesetz müssen alle Tiere, die älter als 24 Monate sind, untersucht werden. Erst nach den jüngsten Ungereimtheiten präzisierte das Bundesministerium für Verbraucherschutz die Vorschrift. Jetzt ist festgelegt, dass auch Tiere, die genau an ihrem zweiten Geburtstag geschlachtet werden, getestet werden müssen.

Das Gesetz lässt keinerlei Ausnahmen zu. So werden die Kühe, die nicht getestet wurden, weil ihr Fleisch für Tiere im Cottbuser Zoo bestimmt war, für immer als „Illegale“ in der Statistik geführt. Auch Bauern, die sich den Test sparten, weil sie die Rinder nur in der eigenen Familie konsumierten, machten sich strafbar. Ebenso jene, die „Nottötungen“ vornahmen, um das Fleisch an Hunde zu verfüttern. Und selbst für jenes arme Rindvieh, das während des Jahrhunderthochwassers 2002 in der Elbe ertrank und nie mehr auftauchte, gibt es keine Entschuldigung.

Das Brandenburger Agrarministerium wollte eigentlich am Montag einen Abschlussbericht zu den fehlenden BSE-Tests vorlegen. Dass bis dahin das Verschwinden der Rinder im ehemaligen Schlachthaus von Steintoch geklärt ist, glaubt Ministeriumssprecher Jens-Uwe Schade allerdings nicht. „Es gibt einfach keinerlei einleuchtendes Motiv. Der Vorgang ist völlig mysteriös.“

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