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Brandenburg: Die Wetterfühligen

Seit 111 Jahren beobachten Meteorologen den Himmel über Potsdam. Jetzt sollen sie durch Maschinen ersetzt werden

Potsdam. Die letzten Meter zum Aussichtspunkt bildet eine schmale Wendeltreppe. An ihrem Ende muss Kerstin Kagermann einen armlangen Hebel umlegen, dann öffnet sich die schmale Metallluke. Was aussieht wie der Ausstieg aus einem U-Boot, ist der Zugang zum höchsten Punkt Potsdams, der Turmspitze des Observatoriums auf dem Telegrafenberg. Mehrmals am Tag kommt Kerstin Kagermann hier hoch und beobachtet das Wetter.

Der wuchtige Backsteinbau des Observatoriums steht fast leer. Die Strahlungsforscher des Deutschen Wetterdienstes (DWD) sind nach Lindenberg umgezogen. Nur oben im Turm sitzen rund um die Uhr noch Wetterbeobachter. Nach dem Willen des DWD werden sie aber auch verschwinden. Automaten sollen die Arbeit übernehmen – das ist billiger. Um ihren Existenz muss Kerstin Kagermann deshalb nicht bangen, sie bekäme eine neue Aufgabe. Angst hat die 46-Jährige nur um die Wetterreihe, an der sie mitarbeitet.

Seit 111 Jahren sind Potsdamer Meteorologen Tag für Tag auf den Turm gestiegen und haben ihre Beobachtungen festgehalten. Nur am Ende des Zweiten Weltkrieges war die Station vier Tage lang nicht besetzt. Der Begründer der Reihe, Reinhard Süring, setzte die Aufzeichnungen in dieser Zeit zu Hause fort. So ist die Potsdamer Reihe wohl weltweit die kompletteste geworden.

„Wenn das jetzt Maschinen machen, ist es das Ende der Reihe“, sagt Kerstin Kagermann. Sie ist Technische Assistentin für Meteorologie, zwölf Stunden pro Schicht verbringt sie im Observatorium, von sieben bis sieben. Einmal in der Stunde muss sie ihr kleines Büro im Fuß des Turms verlassen. Auf der Dachterrasse schaut sie mit leicht zusammengekniffenen Augen zum Horizont. Richtung Nordosten ist der Fernsehturm noch deutlich zu erkennen, der ist 28 Kilometer entfernt. In nordwestlicher Richtung sieht sie heute sogar eine Gruppe von Windrädern, die 50 Kilometer von Potsdam bei Friesack stehen. „Ungewöhnliche Fernsicht“ trägt Kerstin Kagermann später in ihr Dokumentationsbüchlein ein.

Vorher schaut sie noch zum Himmel und schätzt den Bedeckungsgrad. Ergebnis: drei Achtel. „Cu, med., hum., fra.“ hält sie außerdem fest. Zu Deutsch: Haufenwolken, mittelgroße, kleine und kleine Fetzen. Bei der Wolkenhöhe orientieren sich die Wetterbeobachter vor allem an der Art der Wolken. Cumuluswolken liegen unter 2500 Meter, Cirren, auch Schleierwolken genannt, schweben mindestens 6500 Meter über der Erde. Die Daten schicken sie einmal pro Stunde an die DWD-Zentrale nach Offenbach.

Dreimal pro Schicht muss Kerstin Kagermann von ihrem Turm hinunter, zum Messfeld. Dort stecken zehn Bodenthermometer aufgereiht im Sand. Man könnte diese Messungen auch mit einem elektrischen Thermometer machen, das man nicht jedes Mal herausziehen muss. Aber die Methoden zu ändern kommt für die Potsdamer nicht in Frage. Schließlich weiß keiner, ob das elektrische Thermometer von dem jetzigen nicht ein klein wenig abweicht. Und ein Sprung in den Aufzeichnungen ist wie ein Erdbeben für die Reihe. „Außerdem“, sagt Kerstin Kagermann, „können Maschinen ausfallen.“

Die Messgeräte für Temperatur und Feuchtigkeit hängen in einem weißen Holzkasten. In dem Hygrometer befindet sich ein menschliches Haar, das sich bei Feuchtigkeit ausdehnt. Ein Frauenhaar muss es sein, denn die sind empfindlicher als Männerhaare. Und die blonden sind am weichsten.

Zur Rettung der Station ist eine Stiftung ins Leben gerufen worden, die Spenden sammelt. Weitere Informationen unter

http://saekular.pik-potsdam.de

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