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Enteignungsaffäre: Juristen: Land stiftete Kreise zum Rechtsbruch an

Die Enteignungen in Brandenburg könnten strafrechtliche Folgen haben. Die Staatsanwaltschaft hat bereits Vorprüfungen eingeleitet. Ermittlungen werden damit wahrscheinlicher.

Potsdam - In Brandenburg verdichten sich Hinweise, dass die Enteignungsaffäre zum Fall für die Strafjustiz werden kann. Sprengstoff bergen nach Tagesspiegel-Recherchen insbesondere die sogenannten „Freistellungserklärungen“, mit deren Hilfe die Regierung im Jahr 2000 die Landräte in brandenburgischen Kreisen zu den unrechtmäßigen Enteignungen drängte. Dieser Überzeugung sind Rechtsexperten nach der Sichtung von Dokumenten. So könnte die Landnahme strafrechtlich als „gemeinschaftliche Veruntreuung“ gewertet werden, wobei das Land sich der „Anstiftung“ und die Landkreise der „Beihilfe“ schuldig gemacht hätten. Das Strafmaß betrüge bis zu fünf Jahre Haft oder Geldbußen. Wie berichtet, hat die Staatsanwaltschaft Vorprüfungen eingeleitet, die noch andauern.

Worum geht es genau? Das Finanzministerium hatte in den zumeist vom 19. Mai 2000 datierten Freistellungserklärungen die Landkreise von allen Haftungsrisiken freigestellt, wenn diese das Land Brandenburg als Eigentümer in die Grundbücher von Bodenreformgrundstücken eintragen ließen, wenn deren frühere Besitzer oder deren Erben bis dahin nicht gefunden worden waren. In den Freistellungserklärungen heißt es wörtlich, dass die Landräte von Ansprüchen freigestellt werden, „insbesondere wegen mangelnder Nachprüfung des berechtigten Interesses des Antragstellers im Einzelfall und unzureichender Eigentümerermittlungen“.

„Mit dieser Passage deklinieren die Verfasser der Freistellungserklärungen die Pflichtverstöße durch, ohne die das Land nie als Eigentümer in die Grundbücher gelangt wäre“, sagt der Potsdamer Anwalt Thorsten Purps, der seit Jahren Erben von Bodenreformgrundstücken vertritt. Wie berichtet hatte sich das Land in rund 10 000 Fällen so als Eigentümer in den Grundbüchern vormerken lassen, in rund 6700 Fällen wurde die Eigentumsübertragung später endgültig vollzogen. Das Vorgehen des Landes wurde dann 2004 vom Brandenburgischen Oberlandesgericht und im Dezember 2007 vom BGH scharf verurteilt.

Eine „Anweisung zum rechtswidrigen Handeln“, nennt der renommierte Verwaltungsrechtler Ulrich Battis die Freistellungserklärungen. Das Land habe damit seine Amtspflichten, seine Treuhänder-Pflichten zur Vermögensfürsorge verletzt, wie auch der BGH in seinem Urteil festgestellt habe. Und nicht nur das. „Das kann Anstiftung zur Untreue seitens des Landes sein“, sagt Bernd Heinrich, renommierter Strafrechtler an der Humboldt- Universität. Wenn der Treuhänder einen solchen Auftrag ausführe, könne dies „Untreue“ sein, sagt Heinrich. „Selbst wenn er gutgläubig war, hilft ihm das nicht.“

Für den Anwalt Purps belegen „die Freistellungserklärungen, wie Finanzministerium und Landräte bei den unrechtmäßigen Enteignungen zusammengewirkt hätten, um die Interessen von Neubauernerben auszuschalten“. Das Vorgehen sei deshalb „skandalös“, weil die Landräte die Landnahme hätten verhindern können. Wenngleich die Landräte durch die Freistellungserklärungen aus Potsdam Purps zufolge „von den Risiken des unrechtmäßigen Enteignungen freigekauft“ worden waren, hätten sie als Genehmigungsbehörde dem unrechtmäßigen Vorgehen des Landes dennoch einen Riegel vorschieben müssen. Dies tat jedoch nur der Landkreis Teltow-Fläming. Auch der Direktor des Cottbusser Amtsgerichtes konstatiert eine Verantwortung der Landräte: Bei der Beurkundung der Verträge hätten diese eine Prüfungspflicht, sagt Wolfgang Rupieper. Doch sie und andere Beteiligte hätten „nicht kritisch genug hingesehen“.

Die Landnahme wurde dabei offenkundig durchgesetzt, ohne zuvor ausreichend nach den früheren Grundeigentümern geforscht zu haben – was das Finanzministerium bis heute strikt zurückweist. Wie dessen Sprecher Ingo Decker sagte, entsprachen die Freistellungen der Logik des damaligen Vorgehens. Man sei davon ausgegangen, „im Rahmen der geltenden Rechtslage legitime Ansprüche des Landes durchzusetzen“, sagt Decker. „Erst nach dem Urteil des BGH ist klar: Das Land hätte überhaupt keine Ansprüche durchsetzen dürfen, wenn Erben nicht bekannt waren“, sagt Decker.

Die mutmaßlichen Straftaten sind nach Überzeugung von Purps auch nicht verjährt: „Viele Genehmigungen zu unrechtmäßigen Eintragungen des Landes in die Grundbücher wurden im Jahr 2001 oder später erteilt“, sagt er. Im Jahr 2006 erstattete der Rechtsanwalt im Auftrag eines großen Interessenverbandes Strafanzeige wegen der mutmaßlich kriminellen Handlungen. „Durch die Strafanzeige wurde die Verjährungsfrist unterbrochen“, sagt er.

Der Rechtsanwalt misst deshalb den noch andauernden Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft große Bedeutung zu. Es müsse schließlich „eine konkrete Person oder einen Stab gegeben haben, der dieses ganze Verfahren geplant und in Gang gesetzt hat“. Und diese Personen müssten auch wegen des eingetretenen Schadens zur Rechenschaft gezogen werden.

Die Staatsanwaltschaft hat letzte Woche ihr Aktenstudium im Finanzministerium beendet. Ab Dienstag ziehen zwei Staatsanwälte im Innenministerium ein, wie Sprecher Helmut Lange sagte. Wann die Staatsanwaltschaft entscheidet, ob ein förmliches Ermittlungsverfahren aufgenommen wird, ist offen.

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