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Brandenburg: Fontane in der KGB-Zentrale

Gestern wurde die restaurierte Villa Quandt in Potsdam eingeweiht. In Kürze zieht das Dichter-Archiv ein

Potsdam – Die Neugierde der Besucher auf das neue Schmuckstück im Potsdamer Norden war sehr groß. Mehrere hundert Interessierte besuchten gestern die Eröffnungsfeier für die restaurierte Villa Quandt am Fuße des Pfingstbergs, die mit ihrem ockerfarbenen Putz wie ein Juwel strahlt. In wenigen Tagen zieht hier das Fontane-Archiv ein, um seine Originalwerke in einem würdigen Rahmen aufzubewahren und zu präsentieren. Bisher residierte es in sehr beengten Räumen im Potsdamer Zentrum. Nun lädt es in der stattlichen Villa zusammen mit dem Brandenburgischen Literaturbüro regelmäßig zu Vorträgen, Lesungen und Kolloquien ein. Außerdem vermietet die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten als Eigentümerin das Prachtstück inmitten des Villenviertels am Heiligen See für geschlossene Gesellschaften. Spätestens im nächsten Frühjahr soll auch der jetzt noch verwilderte Park in alter Schönheit erstrahlen.

Die Renovierungskosten von 3,2 Millionen Euro teilten sich die Hamburger Reemtsma-Stiftung und das Brandenburger Kulturministerium, das auf EU-Mittel zurückgriff. Das Fontane-Archiv sei der richtige Nutzer für die Villa, sagte der Stiftungsgeschäftsführer Jochen Münnich. Dafür habe das Gebäude im Innern einen klimatisierten Tresorraum erhalten, um die kostbaren Handschriften des wandernden Dichters zu konservieren. Im Raum darüber hat der Kamin alle Stürme der Zeit überstanden, so dass die Lesungen in sehr reizvoller Atmosphäre stattfinden können.

Für den Generaldirektor der Stiftung, Professor Hartmut Dorgerloh, stellt die Villa ein „Paradebeispiel für die Umwandlung einer militärischen Liegenschaft in ein ziviles Anwesen“ dar. Schließlich habe die verwitwete Kriegsrätin Ulrike Charlotte Augusta von Quandt bei ihrem Einzug 1833 dem Haus ihren Namen gegeben. Mit der bekannten „BMW-Familie Quandt“ gebe es keinen Zusammenhang, teilte Dorgerloh mit.

Die Geschichte der Villa, die vor nicht einmal einem Jahr als Ruine gar nicht mehr wahrzunehmen war, ist äußerst abwechslungsreich. 1841 erwarb König Friedrich Wilhelm IV. das Anwesen, um seine Sommergäste hier unterzubringen. 1914 schließlich überließ der letzte Kaiser Wilhelm II. das Haus seinem Sohn Oskar nach dessen Eheschließung mit Gräfin Ina Maria von Bassewitz. Dieser gab dem Haus sein heutiges Aussehen, indem er zwei Seitenflügel anbauen ließ. Das Kriegsende 1945 bedeutete die größte Zäsur in der Historie. Im Zusammenhang mit der Tagung der alliierten Siegermächte ordnete die sowjetische Besatzungsmacht die Zwangsräumung an. Armee und Geheimdienst KGB veränderten das Haus für ihre Zwecke. Fensterladen machten Gittern Platz, der Garten wurde zum asphaltierten Parade- und Exerzierplatz und nebenan versperrte ein großes Heizkraftwerk die Aussicht.

Bis kurz vor dem endgültigen Abzug der russischen Truppen aus Deutschland 1994 sprach die russische Militärverwaltung hier Gerichtsurteile. Gleich nebenan befand sich das KGB-Gefängnis, das derzeit zur Gedenkstätte umgebaut wird. Bei der Restaurierung wurden Wandmalereien mit rotem Stern, Hammer und Sichel belassen. Der Keller aber birgt die wohl typischste Hinterlassenschaft der sowjetischen Militärs: eine große Sauna mit uralten Brettern und einem gekachelten Tauchbecken. Stiftungschef Dorgerloh nannte die Offizierssauna eine „Erinnerungsinsel“. Ansonsten habe das Haus seine originalen Fassaden und die alte Raumstruktur wiedererhalten.

Kulturministerin Johanna Wanka erinnerte bei der Eröffnung der Villa an den „Schatz“, den die literarischen Gedächtnisorte in Brandenburg darstellten. Das Kleist-Museum in Frankfurt (Oder), das Gerhard-Hauptmann-Haus in Erkner oder die Kurt-Tucholsky-Gedenkstätte in Rheinsberg seien bundesweit bekannt. Die Villa Quandt gehöre mit dem Fontane-Archiv nun zu dieser Gruppe.

Auskünfte über Veranstaltungen in der Villa Quandt erhalten Sie unter Telefon 0331 / 20 13 96 und im Internet unter www.fontanearchiv.de sowie unter www.literaturport.de.

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