zum Hauptinhalt
Auf der Website von Queermed sind sensibilisierte Praxen aufgelistet.

© IMAGO/Pond5 Images

Diskriminierung im Gesundheitswesen: Eine queere Plattform soll sensibilisieren

Immer wieder kritisieren queere Menschen, bei Arztbesuchen unangebrachte Kommentare zu hören. Sara Grzybek will das ändern und hat Queermed gegründet, ein Verzeichnis für sensibilisierte Praxen.

Es ist eine Situation, die viele trans Personen schon einmal erlebt haben: Sie sitzen im Wartezimmer und plötzlich werden sie aufgerufen, allerdings nicht mit ihrem Namen, sondern mit dem Deadname, dem abgelegten Namen. Das kann sehr verletzend sein. „Ich habe immer große Hemmungen zur Frauenärztin zu gehen, weil ich trans* bin und war seit Jahren nicht mehr“, schreibt eine Person auf der Website Queermed.

Dabei handelt es sich um eine Online-Plattform, auf der queerfreundliche Ärzt*innen sowie Therapeut*innen in ganz Deutschland empfohlen werden. Gegründet wurde sie von Sara Grzybek während der Corona-Pandemie. Mittlerweile umfasst Queermed über 1200 Empfehlungen von Praxen aus verschiedenen Fachbereiche wie Gynäkologie, Rheumatologie und Zahnmedizin.

Sara Grzybek hat Queermed gegründet.
Sara Grzybek hat Queermed gegründet.

© Fadi Elias / In-Haus Media 2022

„Immer wieder erzählen queere Personen, dass sie im Gesundheitssystem nicht ernst genommen oder sogar als „abnormal“ angesehen werden“, erzählt Grzybek am Telefon. „Einige machen schlechte Erfahrungen beim Coming-out bei Praktizierenden. Das kann dazu führen, dass sie nur unter extremer Angst oder Unwohlsein ärztliche Termine vereinbaren.“ Im schlimmsten Fall würden sie gar nicht hingehen und Kontrolluntersuchungen über Jahre vermeiden. „Das kann auf lange Sicht zu gesundheitlichen Problemen führen.“

Dass queere Menschen im Gesundheitssystem auf große Hürden stoßen, zeigen auch die Statistiken: So geht aus einer Umfrage der EU von 2020 hervor, dass bei 17% der befragten queeren Personen der letzte Diskriminierungsvorfall bei der Inanspruchnahme von medizinischen Diensten stattfand. Besonders häufig betroffen waren trans und intergeschlechtliche Personen, die berichteten, nicht ernst genommen und mit unangebrachten Kommentaren konfrontiert worden zu seien.

Für Leistungen, die bei heterosexuellen Paaren von Krankenkassen übernommen werden, müssen gleichgeschlechtliche Paare mehrere tausend Euro aufwenden.

Sara Grzybek, hat Queermed gegründet

Solche Vorfälle kennt auch Grzybek aus der Arbeit bei Queermed. „Viele behandelnde Personen sind nicht aufgeklärt im Umgang mit trans Patient*innen“, sagt Grzybek. Aufgrund des Transsexuellengesetzes würden trans Personen auf rechtliche Hürden stoßen, wenn sie ihren Namen ändern und eine hormonelle oder operative Transition durchführen lassen wollten. „Sie werden mit dem Deadname im Wartezimmer aufgerufen und erleben Momente, die zu Dysphorie führen können, etwa beim Brustabtasten.“

Gerade queere Paare würden überdies beim Thema Kinderwunsch auf finanzielle Hürden stoßen, sagt Grzybek. „Für Leistungen, die bei heterosexuellen Paaren problemlos von Krankenkassen übernommen werden, müssen gleichgeschlechtliche Paare mehrere tausend Euro aufwenden.“ Nur einzelne Bundesländer und einige private Krankenkassen übernehmen anteilig die Kosten für die Kinderwunschbehandlung bei gleichgeschlechtlichen Paaren.

Lesbische Paare werden im Abstammungsrecht weiterhin benachteiligt.
Lesbische Paare werden im Abstammungsrecht weiterhin benachteiligt.

© imago images/Westend61

Das Thema hat es indes auf die politische Agenda geschafft. So hat die Bundesregierung sich im Koalitionsvertrag 2021 Ziele gesetzt, um die Situation queerer Menschen im Gesundheitssystem grundlegend zu verbessern. Bislang wurde allerdings nur eines umgesetzt, nämlich die Abschaffung des Blutspendeverbots für Männer, die Sex mit Männern haben. Die Reform des Transsexuellengesetzes ist noch nicht im Bundestag beschlossen, für ein neues Abstammungsrecht liegen lediglich Eckpunkte vor.

Neben Queerfeindlichkeit spielen im Gesundheitssystem weitere Ausschlussmechanismen eine Rolle. „Lebensrealitäten sind mehrdimensional“, erklärt Grzybek, „daher können Menschen verschiedene Diskriminierungsformen gleichzeitig erleben. Im medizinischen Kontext können neben Queerfeindlichkeit auch Erfahrungen mit Rassismus oder Fettfeindlichkeit eine Rolle spielen“

Studien aus den USA etwa zeigen, dass Schwarze Frauen eine schlechtere Versorgung bei Geburten erhalten und ein höheres Risiko für Komplikationen haben. Auch aus dem Afrozensus von 2020 geht hervor, dass insbesondere Schwarze trans, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen von Diskriminierung im Gesundheitssystem betroffen sind.

Intersektionale Aspekte werden berücksichtigt

Queermed versucht intersektionale Aspekte zu berücksichtigen. Aus diesem Grund kann man bei der Suche nach einer Arztpraxis weitere Filter wie Barrierefreiheit und Sprache eingeben. Gerade im Bereich der Barrierefreiheit gäbe es noch viel zu tun, sagt Grzybek. Weniger als ein Drittel der Empfehlungen auf Queermed verfüge beispielsweise über einen Aufzug. „Viele Praxen haben auf ihrer Seite nicht einmal Informationen über die Lage vor Ort. Ähnlich sieht es bei Themen wie leichter Sprache, Begleitpersonen oder Orientierungshilfen aus.“

Damit sich das ändert, finden sich auf der Website von Queermed auch konkrete Tipps für Arztpraxen, die ein Safer Space werden wollen. Diese reichen von der Gestaltung der Praxis, über Körperkontakt bei der Behandlung bis hin zur Schulung des Personals. „Unternehmen sollten den eigenen Status Quo hinterfragen“, rät Grzybek. „Wie inklusiv und divers sind etwa Anrede, Schilder vor Ort oder das Auslagematerial im Wartezimmer?“

In einer gynäkologischen Praxis könnte beispielsweise Infomaterial zu Regenbogen-Krabbelgruppen oder queeren Geburtsvorbereitungskurse ausliegen. Überdies könnten Praxen auf ihrer Website offen kommunizieren, wenn sie sich mit Themen beschäftigen, die nicht der heterosexuellen Norm entsprächen.

Auch das Thema transparente Kommunikation und Zustimmung hält Grzybek für zentral. „Bei der Behandlung ist es wichtig, auf Consent zu achten. Man sollte mit Patient*innen genau besprechen, was gerade stattfindet und ihnen den Freiraum geben, offen zu kommunizieren, wenn sie etwas nicht möchten.“

Auf Queermed werden auch bestärkende, positive Erfahrungen geteilt. Die Person, die einst große Hemmungen hatte, zur Gynäkologin zu gehen, hat mittlerweile festgestellt, dass ihre Ärztin sogar bei Queermed aufgelistet ist. „Das hat mir sehr geholfen, um einerseits einen Termin zu machen und andererseits zu wissen, dass ich eine sichere Anlaufstelle habe“, schreibt sie. In den kommenden Jahren dürfte die Liste der Praxen, die sich an den Tipps orientieren und ein Safer Space werden, weiter wachsen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false