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Brandenburg: Grenzschutz: Reisen ins Unterholz

Der Traum vom gelobten Land endet in einem kleinen Wäldchen auf der deutschen Seite der Oder. Die zwölf Tschetschenen - in den Polizei-Protokollen wird man die sieben Erwachsenen und fünf Kinder später "illegale Einwanderer" nennen - drücken sich ins Unterholz, um den Streifen des Bundesgrenzschutzes zu entgehen.

Der Traum vom gelobten Land endet in einem kleinen Wäldchen auf der deutschen Seite der Oder. Die zwölf Tschetschenen - in den Polizei-Protokollen wird man die sieben Erwachsenen und fünf Kinder später "illegale Einwanderer" nennen - drücken sich ins Unterholz, um den Streifen des Bundesgrenzschutzes zu entgehen. Vergeblich. Denn die BGS-Beamten wissen längst, das an diesem Grenzabschnitt etwas nicht stimmt. Ihnen fielen die ortsfremden Autos auf, die um halb fünf Uhr morgens durch Guben kurvten - wahrscheinlich hierhergekommen, um die Flüchtlinge ins Landesinnere zu transportieren. Den verdächtigen PKW-Fahrern konnte der BGS zwar nichts anhaben, schließlich ist es nicht verboten, auch am frühen Morgen eine Spazierfahrt an der Oder zu unternehmen. Aber das Misstrauen der Beamten ist geweckt.

Stunden später sitzen die Tschetschenen - in Zweiergruppen getrennt - in einer Gubener BGS-Baracke. Der lange Gang ähnelt einem Behördenflur. Hinter den massiven Türen befinden sich jedoch keine Büros, sondern Zellen. Bis zur Decke sind die etwa sechs Quadratmeter großen Räume weiß gekachelt. Der abwaschbare Charme einer Kühlzelle, an deren Oberfläche alles abperlt. Durch die Glasbausteine, die die Fenster ersetzen, fällt diffuses Licht auf die schwarzen Holzpritschen an den Wänden.

Mit betretener Miene steht Polizeiobermeister Jens Piontkowski neben der Zellentür, hinter denen die Aufgegriffenen auf ihre Ausweisung warten. Der 33-Jährige ist seit 1994 beim Bundesgrenzschutz. Wie bei den anderen umstehenden Beamten ändert sich auch Piontkowskis Mimik schlagartig, als sich die Tür öffnet. Die Beamten stellen einen abweisenden Gesichtsausdruck zur Schau. Die ängstlichen Fragen der Festgenommenen können sie sowieso nicht beantworten.

Die zwei jungen Tschetschenen schauen verwirrt und ängstlich auf die vielen Uniformierten, die da in ihre Zelle drängen. Starr sitzt der 16-Jährige auf der Pritsche, versteckt sein Gesicht hinter der Decke. Er überlässt seinem vier Jahre alten Bruder das Reden. Wie werden sie behandelt? Etwa zögernd kommt das "Charaschó" - "gut". Dann die leise Nachfrage: "Ihr werdet uns doch nicht zurückschicken?" Doch! Sobald die Polizisten ihnen nachweisen können, dass sie sich auf polnischem Territorium befunden haben, werden sie "zurückgeschoben", das heißt, den polnischen Behörden übergeben. Denn Polen zählt nach deutschem Asylrecht als sicherer Drittstaat.

Deshalb haben die Flüchtlinge ihre Geschichten gut gelernt. Sie seien aus ihrer Heimat geflüchtet, wegen der Kämpfe zwischen russischer Armee und tschetschenischen Rebellen. Im Kaukasus seien sie in einen Transporter gestiegen und nach mehreren Tagen erst auf der deutschen Seite der Oder wieder herausgekommen. Auf welchem Weg sie dorthin gelangten, wissen sie nicht. "Unsere Notdurft verrichteten wir durch ein Loch im Wagenboden", geben sie zu Protokoll. Doch die Grenzpolizisten sind sich sicher, dass sie auf dem selben Weg nach Deutschland kamen, wie die meisten vor ihnen auch: mit einem Schlauchboot über die Grenzflüsse.

Die Oder: Nur ein paar schwarz-rot-golden bemalte Stelen am Ufer beweisen, dass hier eine Staatsgrenze verläuft. Und auch wenn Grenzanlagen, Zäune oder Wachtürme fehlen: Die deutsche Grenze zu Polen und Tschechien ist die am besten bewachte Grenze Europas. Zuständig ist das Grenzschutzpräsidium Ost mit Sitz in Berlin, das den Grenzeinsatz von insgesamt 7500 Beamten koordiniert. Allein auf dem 258 Kilometer langen Abschnitt, der Brandenburg von Polen trennt, tun zweitausend Grenzschützer ihren Dienst, rein rechnerisch pro Kilometer sieben. Ihre Aufgabe: "Abwehr der unkontrollierten Migration".

Im letzten Jahr registrierte der BGS im Bereich der Grenzschutzinspektion Guben die meisten illegalen Übertritte auf der gesamten brandenburgisch-polnischen Grenze. Die Beamten griffen 678 unerlaubt eingereiste Personen auf, erwischten dabei auch 49 Schleuser. Der Menschenschmuggel kann wie in einem Reisebüro gebucht werden. Auch der dazugehörige Service. Die einfachste und billigste Variante ist es, sich bis auf die polnische Seite der Oder / Neiße-Grenze bringen zu lassen. "Rüberpaddeln exklusive." Teurer wird es, wenn man auf die deutsche Seite oder ins deutsche Hinterland geschleust werden will. Das exklusivste Angebot sind Garantieschleusungen, bei denen es so oft versucht wird, bis die Einwanderung geklappt hat, egal wie oft der Flüchtling erwischt und abgeschoben wird.

Die Großen im Schleusergeschäft sind Deutsche, Polen und Tschechen, dazu mischen noch ein paar Vietnamesen mit. Und die Organisationen rüsten auf. Sie hören den BGS-Funk ab, verfügen über russische Nachtsichtgeräte, die man schon für ein paar Mark auf polnischen Trödelmärkten bekommt und haben schnelle Autos.

Die Gewinnspannen im Schleusergeschäft sind ähnlich astronomisch, wie im Drogenhandel. Bis zu 50 000 Mark verlangen die Schmuggler für eine Garantieschleusung. Beim BGS weiß man: "Wer genug Geld hat, der kommt auch rein." Wer nicht, bleibt zwar nicht zwangsläufig erfolglos, hat aber gegen den technisch hoch gerüsteten BGS weniger gute Karten. Mit Hubschraubern, Streifenwagen und Schnellbooten überwachen die Grenzschützer jede verdächtige Bewegung im Uferdickicht. So auch die Besatzung der "Aurith". Gut getarnt liegt das BGS-Schnellboot in einer Oder-Bucht vor Anker. Der graue Spezialanstrich ist in der Dämmerung fast nicht zu erkennen. Bootsführer Peter Tauchmann ist ein geduldiger Mann. Gemütlich-breite Statur, gepflegter Oberlippenbart. Der 52-jährige macht nicht gern viele Worte. "Warten macht Spaß", brummt der Polizeihauptmeister.

Es wird Nacht. Der Sucher der Wärmebildkamera tastet sich durch das Unterholz, gleitet über das Ufer der Oder - und bleibt an einem Menschen hängen. Der Angler, der da um Mitternacht seine Senke ins Wasser taucht, um Köderfische zu fangen, merkt nichts davon, dass die BGS-Beamten ein Auge auf ihn geworfen haben. Seine Gesichtszüge sind zwar nicht zu erkennen - dafür reicht die Auflösung der Wärmebildkamera nicht aus -, statt dessen aber andere Merkmale, wie Statur, Gestik oder auch der Gebrauch eines Handys. Das wäre schon verdächtig. Denn auch die Schleuser halten die Augen offen, spähen den BGS aus. Nur wenn sie die Luft für rein halten, geben sie ihren Kollegen auf den Schlauchbooten das Signal zum Übersetzen. Doch auch dann greift die Bootsbesatzung der "Aurith" nicht ein. Per Funk dirigiert Tauchmann einen Streifenwagen zum Tatort.

Meistens sind nur zwei Streifenwagen auf dem 52 Kilometer langen Abschnitt der Gubener BGS-Inspektion im Einsatz. "Wir sind auf die Mitarbeit der Bevölkerung angewiesen", sagt Jens Piontkowski, der heute Streifendienst fährt. Und so werden Angler, Jäger oder einfach nur Spaziergänger zu Hilfsgrenzpolizisten. Es ist nicht schwer, Illegale zu erkennen. Weil sie häufig schon seit Wochen oder Monaten unterwegs sind, sind es meist ausgemergelte Gestalten mit zerschlissener Kleidung, die große Koffer mit ihrem ganzen Hab und Gut durch die Gegend schleppen. Oft sind die Hosen nass, weil sie gerade durch einen Uferabschnitt gewatet sind. So etwas fällt auf in den gepflegten Dörfern der Umgebung.

"Im Gewahrsam bekommen sie etwas zu essen, frische Kleidung und auch ärztliche Hilfe aus einem naheliegenden Krankenhaus", sagt Piontkowski. Der Polizeiobermeister hat immer ein paar Bonbons in der Tasche, wenn er auf Streife geht. "Für die Kinder, um Trost zu spenden." Fragt man ihn nach seinen Erfolgen, wird Piontkowski schweigsam. Er redet lieber über die überführten Zigarettenschmuggler, als über aufgeriffene Flüchtlinge. Wieviele Illegale er im Laufe der Jahre festgenommen hat? "Fünfzig oder sechzig, da zählt man nicht so genau."

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