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Ausflugziel. Der überflutete Hafen in Groß-Neuendorf im Oderbruch lockte am Sonntag die Schaulustigen an.

© dpa

Hochwasser: Oderflut: "Wann sind wir schon mal in der Tagesschau?"

Das Hochwasser an der Oder zieht Neugierige aus nah und fern an die Deiche. Mancher in der Region sieht darin sogar eine kostenlose Werbung für die von der Flut betroffenen Gemeinden.

Groß Neuendorf – „Kommt schnell, da steht ein ganzer Zug im Wasser“, ruft der kleine Junge aufgeregt seinen Eltern entgegen. Er wedelt mit den Armen, treibt die Erwachsenen zur Eile. Die aber lassen sich Zeit und reihen sich in die Schlange der Neugierigen ein. Alle wollen über eine Wendeltreppe und eine Brücke rauf zum alten Speicher, um von oben die kleine Sensation von Groß Neuendorf mitten im Oderbruch ganz genau zu sehen. Schnell erhalten Neuankömmlinge von schon länger ausharrenden Schaulustigen Aufklärung. „Das sind Waggons, die zu Ferienwohnungen umgebaut werden sollen“, erzählt Richard Edenhader aus Berlin. Das Hochwasser hat die Wagen bis über die Räder in der dunklen Brühe verschwinden lassen. Für das Bild vom überschwemmten Hafen von Groß Neuendorf nehmen die zahlreichen Hochwassergucker die zweistündige Anreise aus Berlin gern in Kauf.

„Zuerst billige Zigaretten und noch billigeres Benzin hinter dem Grenzübergang Hohenwutzen gekauft, dann zum Hochwasser ins Oderbruch und zum Schluss im ‚Alten Fritz‘ von Letschin gut eingekehrt“, so schilderte der Potsdamer Sven Walther seinen Sonntagsausflug. „Ohne das Hochwasser wären wir nicht losgefahren. Aber so etwas sieht man nicht alle Tage.“ Auch in Küstrin am Zusammenfluss von Oder und Warthe, auf der Grenzbrücke in Frankfurt und natürlich vor dem Pegelhäuschen in Ratzdorf an der Neißemündung drängelten sich am Sonntag die Neugierigen.

„So schlimm die Sorgen der Einwohner über einen möglichen Dammbruch im Oderbruch auch sind, freuen wir uns doch über die kostenlose Werbung“, sagte der Landrat des Kreises Märkisch-Oderland, Gernot Schmidt. „Wann sind wir sonst schon mal in der Tagesschau?“ Er sei sich ziemlich sicher, dass viele Menschen durch diese Bilder auf die Region aufmerksam werden und als Touristen wiederkommen.

Freude über die kostenlose Werbung

Im Moment freuen sich Hoteliers und Pensionsbetreiber entlang der Oder vor allem über die aus ganz Deutschland und dem Ausland angereisten Journalisten. „Wir waren bis zum Wochenende nahezu ausgebucht“, berichtet der Chef der „Ratzdorfer Werft“, Siegfried Schröder. „In fast allen 27 Zimmern waren Medienvertreter untergebracht.“ Jetzt hoffe er auf die vielen Schaulustigen, die sich die schöne Lage des Ortes auch außerhalb des Hochwassers möglicherweise merken. Pech hatte nur das beliebte „Anglerheim“ in Lebus, nördlich von Frankfurt. Die Oder drang in den Biergarten und teilweise ins Gebäude, so dass die Gaststätte schließen musste.

Die Touristen sahen am Sonntag nicht nur viel Wasser, sondern auch emsig arbeitende Einwohner. Bei Altbleyen füllten sie den ganzen Tag Sandsäcke, die sofort an den Deich gekarrt wurden, um armdicke Löcher zu flicken. Die Biber, die Naturschützer noch vor wenigen Jahren als Attraktion ansahen, sind längst zur Plage geworden. Die Neugierigen blieben auch hier nicht lange im Ungewissen über den Grund. „Im Oderbruch stehen riesige Maisfelder, weil die Region auf regenerative Energiequellen wie Biomasse setzt“, sagte Landrat Schmidt. „Mais schmeckt dem Biber, dem das Hochwasser seine Burgen genommen hat. Deshalb gräbt er sich Gänge durch die neuen Deiche. Mindestens 200 gefährliche Röhren haben wir im 50 Kilometer langen Oderbruch gezählt.“

Ministerpräsident Matthias Platzeck, der das Oderhochwasser auch gestern inspizierte, will das Biberproblem nach der Flut mit allen Betroffenen klären. Beim Händeschütteln vieler Helfer und Schaulustiger zeigte er sich zufrieden über die augenblickliche Lage. „Wir haben großes Glück, denn das Hochwasser der Warthe aus Polen trifft zwei Tage vor dem Scheitel der Oder bei uns ein.“

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