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Brandenburg: Hoffnung für die Erben der Kleinbauern

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes: 30 000 ehemalige Grundstückseigentümer in Brandenburg könnten Entschädigung verlangen

Frankfurt (Oder). Edith L. aus der Nähe von Frankfurt (Oder) freute sich riesig, als sie die Nachricht aus Straßburg erhielt. „Endlich zieht Gerechtigkeit ein“, sagt die im Sprachgebrauch des Europäischen Gerichtshofes als „Beschwerdeführerin“ bezeichnete Frau. Ihr der Rechtsanwalt Thorsten Purps hatte ihr das Urteil des Gerichts übermittelt: Die entschädigungslose Einziehung ihres geerbten Grundstücks durch das Land Brandenburg vor einigen Jahren verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Das Grundstück hatten ihre Eltern im Zuge der Bodenreform nach dem Krieg erhalten. Von dem Urteil könnten in Ostdeutschland 70 000 Menschen betroffenen sein. Allein in Brandenburg wird die Zahl der Anspruchsberechtigten auf 28 000 bis 30 000 geschätzt. Auf das Land können damit Entschädigungsforderungen in Millionenhöhe zukommen.

Der Fall von Edith L. ist typisch. Zwischen 1945 und 1949 wurden in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone Großgrundbesitzer im großen Stil enteignet. Das Land erhielten einfache Bauern und vor allem Umsiedler aus den ehemaligen Ostgebieten. Einige Jahre später begann der Zusammenschluss der Bauern zu Genossenschaften, in vielen Fällen keineswegs freiwillig. Die Arbeit verteilte sich in den größeren Betrieben auf viele Schultern, die Anschaffung von Maschinen erleichterte sich. Im Laufe der Jahre schieden zahlreiche durch die Bodenreform zu Grundstückseigentümern gewordene LPG-Bauern aus der Genossenschfft wieder aus, so auch die Eltern von Frau L. Sie standen aber mit ihrem Namen weiter im Grundbuch und durften die zwischen drei und sieben Hektar großen Grundstücke nicht veräußern.

Die Wende kam, und Edith L. konnte sich nach einem Beschluss der DDR-Volkskammer das erste Mal freuen: Sie war zur Volleigentümerin erklärt worden. Die Ernüchterung folgte 1992: Damals setzte der Bundestag eine neue Regelung durch. Nur diejenigen Personen, die im März 1990 noch tatsächlich in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt waren, konnten das Bodenreform- Grundstück behalten. Frau L. ging leer aus und klagte vor dem Europäischen Gerichtshof in Straßburg. Das erklärte jetzt die 1992 getroffene Regelung für rechtswidrig. Edith L. hofft nun auf Geld. Schließlich hat die Gemeinde eingezogene, fünf Hektar große Grundstücke an mehrere Datschenbesitzer verpachtet. Erhält sie es zurück, kann sie es entweder kaufen oder sich mit den Pächtern über neue Verträge einigen, so ihr Anwalt.

Völlig überrascht vom Straßburger Urteil zeigte sich Brandenburgs Finanzministerin Dagmar Ziegler (SPD). „Die Vorschriften zur Abwicklung der Bodenreform haben mehrfach der Prüfung durchs Bundesverfassungsgericht standgehalten“, sagte sie. „Wir warten ab, wie der Bund auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes reagiert.“

Der agrarpolitische Sprecher der SPD- Landtagsfraktion Dietmar Woidke schließt Rückzahlungsforderungen an das Land und an Kommunen in Millionenhöhe nicht aus. Der Abgeordnete begrüßt das Urteil, weil von den Enteignung nach der Wende zum größten Teil wenig wohlhabende Bürger betroffen gewesen seien. Allein in seinem Wahlkreis in der Stadt Forst und Umgebung kenne er mehrere „dramatische Fälle“. Die Menschen hätten sich auf ihre Eintragung im Grundbuch verlassen. „Plötzlich mussten sie für ihre eigenen Grundstücke viele tausend Euro zahlen, um sie zu behalten oder bei Banken zu beleihen zu können.“ Heute liegen auf vielen vermeintlich kommunalen Grundstücken Einkaufszentren und Gewerbegebiete.

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