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Brandenburg: Hunderttausende rasen angetrunken in die Quotenfalle der märkischen Polizei

Vorgabe: Pro Unfall 18 Temposünder blitzen, pro Alkohol-Crash zwei Promille-Sünder ertappenVON THORSTEN METZNER POTSDAM.Um das Land Brandenburg vom bundesdeutschen Spitzenplatz in der Unfallstatistik herunterzuholen, hat Innenminister Alwin Ziel die Radarkontrollen seit Jahren ständig verstärken lassen.

Vorgabe: Pro Unfall 18 Temposünder blitzen, pro Alkohol-Crash zwei Promille-Sünder ertappenVON THORSTEN METZNER POTSDAM.Um das Land Brandenburg vom bundesdeutschen Spitzenplatz in der Unfallstatistik herunterzuholen, hat Innenminister Alwin Ziel die Radarkontrollen seit Jahren ständig verstärken lassen.So rechnet die Polizei 1997 landesweit mit 600 000 geblitzten Temposündern - viermal so viel wie 1994.Nach Tagesspiegel-Informationen hat das Innenministerium sogar interne Quoten-Vorgaben an die Polizei ausgegeben, wieviel Raser und Alkoholfahrer die Schutzbereiche jeden Monat zu stellen haben, was in der Praxis zunehmend zu Überspitzungen führt."Wir entwickeln uns von der Dienstleistungspolizei zur Abzockerpolizei", warnt Andreas Schuster, Landesvorsitzender der Polizeigewerkschaft.Auch die CDU und der ADAC kritisieren die Massenkontrollen. Füllten 1994 noch rund 18 Millionen Mark Bußgeld die klamme Landeskasse auf, so werden es in diesem Jahr nach Angaben des Innenministeriums bereits 42 Millionen Mark sein.Tendenz: steigend.Den Abzocker-Vorwurf weist das Innenministerium dennoch zurück."Unsere Politik zielt nicht auf Einnahmen", sagt Hartmut Bosch, Abteilungsleiter für Polizeiangelegenheiten.Auf Anfrage bestätigte er die Existenz sogenannter "Verfolgungsindizes", die den Schutzbereichen - wegen der Vergleichbarkeit untereinander - vorgegeben seien.Danach haben die Schutzbereiche für einen auf Raserei zurückzuführenden Unfall 18 Temposünder zu blitzen, auf einen Alkohol-Unfall sind zwei Promille-Fahrer zu ertappen. In der Praxis führt dies zu "Stilblüten wie in keinem anderen Land", so GdP-Chef Schuster.Um die Plan-Zahlen erfüllen zu können, greifen die personell knapp besetzten Dienststellen notgedrungen zu Tricks, wie Beamte hinter vorgehaltener Hand bestätigen: So kursiert in Potsdamer Polizeikreisen hartnäckig ein Gerücht, wie ein Schutzbereich östlich von Berlin besonders erfinderisch beim Aufspüren von Alkoholsündern sei: Danach sollen Zivilfahnder des "Kriminalpolizeiliches Ermittlungstrupps" in Gaststätten, die viele Berliner Gäste haben, die Promille-Lage erkunden - an der Ausfahrtstraße können dann die richtigen Fahrzeuge herausgewinkt werden. Bei ihren Geschwindigkeitskontrollen haben sich die Polizeibehörden auf die Normen eingestellt, wie ein lokaler Polizeichef bestätigt: Anstatt sich auf Unfallbrennpunkte, Tempo-30-Zonen oder Schulen konzentrieren zu können, werden die Radarwagen unmittelbar hinter Ortseingängen und möglichst zu Nachtstunden postiert - was eine hohe Trefferquote garantiert.Auch die Autobahn eigne sich hervorragend, so ein Insider, "um in kürzester Zeit mehrere Filme vollzuknipsen." Ganz nebenbei kann dabei auch die Anweisung des Innenministeriums erfüllt werden, die teuren Radargeräte 24 Stunden täglich auszunutzen.Verkehrspädagogisch wäre es wichtiger, so GDP-Chef Schuster, die geblitzten Fahrzeuge anzuhalten.Auch der ADAC fordert nach den Worten seines Sprechers Eberhard Lange "gezielte Kontrollen an Gefahrenpunkten". Für besonderen Unmut der Kollegen sorgt jedoch, wie Schuster bestätigt, daß die Index-Zahlen offenbar teilweise bis auf den einzelnen Polizeibeamten heruntergebrochen werden - als Monatssoll.So fordert die CDU-Oppostion in einer kleinen Anfrage jetzt Aufklärung, ob im im Präsidium Oranienburg die Polizeibeamten angewiesen worden sind, "mindestens dreißig Ordnungswidrigkeiten im Monat zu ahnden." Nach Angaben von Schuster sei dies gängige Praxis "in fast allen Schutzbereichen", was das Innenministerium allerdings entschieden dementiert."Uns ist kein einziger Fall bekannt", sagt Polizeiabteilungsleiter Bosch.Derartige Strichlisten für den einzelnen Beamten widersprächen der Linie des Innenministeriums.Allerdings könne er nicht ausschließen, daß "einzelne Vorgesetzte" so gehandelt haben.Die Verfolgungsquoten für die lokalen Polizeibehörden seien als reine "Sollvorgaben zu begreifen, deren Nichterfüllung keine Sanktionen auslöst". Gäbe es "Überspitzungen", so müßten sie auf "Führungsmängel vor Ort" zurückgeführt werden.In diesem Zusammenhang wies das Innenministerium einen Bericht der "Märkischen Allgemeinen Zeitung" zurück, daß jeder zweite geblitzte Raser in Brandenburg ungeschoren davonkommt, weil die im Aufbau befindliche zentrale Bußgeldstelle in Gransee völlig überlastet sei.Die Verjährungsquote bei Bußgeldverfahren liege lediglich bei 3,8 Prozent.Trotz der Kritik sieht das Innenministerium für Abstriche an den massenhaften Geschwindigkeitskontrollen keinen Grund.Der Überwachungsdruck auf den märkischen Straßen, so kündigt Bosch an, soll angesichts der hohen Unfallzahlen "noch weiter erhöht werden."

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